Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kunst hassen

Kunst hassen

Titel: Kunst hassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Zepter
Vom Netzwerk:
Begrifflichkeit zu verstehen hat. So habe es auch in den letzten eineinhalb Jahren in der Intendanz Luckows nicht eine kritische Äußerung der Besucher über eine Ausstellung gegeben. Luckow ruft seine Kollegin, um ganz sicher zu gehen: »Gab es mal eine Beschwerde?«, fragt er und lächelt dabei. Die Kollegin lehnt am Türrahmen: »Corpus Christi in 2003 , das war ein Skandal. Es gab eine riesige Briefaktion gegen die Ausstellung. Es wurde von Blasphemie gesprochen. Selbst eine Bombendrohung haben wir gekriegt und mussten eine Halle räumen.«
    Luckow lacht. Luckow erweckt nicht den Eindruck, seinem Publikum viel zuzutrauen. Er hatte bei Poul Gernes mehr Unverständnis erwartet. So in der Art: Bunte Streifen – was soll ich damit anfangen? »Abstrakte Kunst ist hermetischer als eine erzählerische Kunst, die etwas Erkenn- und Benennbares wiedergibt. Umso wichtiger ist bei ungegenständlicher Kunst die kluge Vermittlung.« Eine Abstraktionsleistung scheint nicht jedem möglich zu sein. Alles nur eine Frage der Vermittlung. Und siehe da: Bei Poul Gernes war das Besucherfeedback fast durchgängig positiv. »Kann ich Ihnen zeigen«, sagt er, »steht alles im Besucherbuch.« Und er ergänzt: Gernes selbst hatte ein Interesse, die Leute anzusprechen. Er wollte Enjoyment! Pleasure! unter die Leute bringen. Wenn er das sagt, hebter kurz die Augenbrauen. Das Enjoyment merke man besonders bei Führungen, die Ausstellung spreche die Leute an, die einen Sinn für Farben haben. Besonders die Hippies. Sagt er und grinst so, als würden wir beide wissen, wer damit gemeint ist.
Das Ritual der Bühne
    Aber auch den Hippies wird die Kunst von Poul Gernes in konventioneller Manier vorgestellt: Einführungstext, Katalog, Pressetext und Führungen. Eine Orientierungshierarchie, an deren Spitze der Direktor steht. Angesprochen auf die Frage, ob er als Direktor eine Hierarchie gegenüber dem Publikum bedient, sagt Luckow: »Ich würde es nicht Hierarchie nennen. Ich nenne es: sas Ritual der Bühne. Besonders in den weiträumigen Deichtorhallen muss die Kunst auch mit dem Raum funktionieren. Den Ausstellungsraum wie einen Bühnenraum zu begreifen, als Ort der Interaktion oder Aura, das sind Kräfte, die mich interessieren.« Das Ritual der Bühne bedeutet: Publikum blickt in eine Richtung, zumindest so lange es spannend bleibt.
    Was aber, wenn »etwas ganz Neues« wie Gernes den Besucher langweilt? Wie kann er sich mit Gernes auseinandersetzen? Urteile, Meinungen oder ausführliche Kommentare zur Kunst der Besucher sind selten, auch in den Hamburger Deichtorhallen. Doch nur weil etwas ausgestellt ist, ist es noch lange nicht gut. Dem Publikum, von dem sich die Kunstinstitutionen bis heute noch immer kein umfassendes Bild gemacht haben, wird gerne unterstellt: Es hat im Zweifel nicht das Wissen, um sich ein Urteil über die Kunst zu verschaffen. Oder wie ein deutscher Museumsleiter, der hier nicht genannt werden will,sich ausdrückt: Einige brauchen eine Führung, andere können da so durch. Luckow sagt: »Erst wenn man sich fast professionell damit beschäftigt, beginnt das Interesse dafür, wie die Dinge präsentiert werden. Der Besucher kriegt es natürlich mit. Ist es beleuchtet, ist es auf großen Wänden, auf kleinen Wänden, ist es auf farbigen Wänden? Farbige Wände – das finden die Leute natürlich auch immer ganz toll!«
    Die Fähigkeit zu einem Urteil über eine Ausstellung liegt also allein bei denen, die sich beruflich mit der Kunst beschäftigen. Der Dialog mit dem Publikum und der Diskurs über die Kunst werden nicht gesucht. Selbstkritik ist selten. Eigenlob dagegen Stilmittel. Wenn der Erfolg vorrangig in Besucherzahlen gemessen wird, bleibt die Frage nach der Qualität der Kunst unbeantwortet, weil sie gar nicht erst gestellt wird. Besucher einer Ausstellung, die sich der Hierarchie unterwerfen, tun das oft, weil sie glauben, über nicht genügend Sachverstand und Kompetenz zu verfügen, die sie befähigen würden, die Ausstellung für sich selbst zu entdecken.
Demokratie im Museum
    In der Vergangenheit als Direktor der Kieler Kunsthalle hatte Dirk Luckow einen besonderen Einfall: In einem Ausstellungsexperiment wurde eine Sammlung von allen Mitarbeitern der Kunsthalle neu kuratiert. Vom Tischler zur Aufsicht über die Klofrau bis hin zu Gastkuratoren durften alle mitmachen. Ist es nicht logisch für hierarchisches Denken, dass der oben Stehende gerne auch mal »die da unten machen lässt«? Die Konzeption einer

Weitere Kostenlose Bücher