Kunst hassen
Ausstellung übernimmt in der Regel der Kurator, der zumeistals Kunsthistoriker ausgebildet ist, oder der Künstler selbst. Sie sind diejenigen, die Räume gestalten, in denen der Besucher bildende Kunst erleben darf.
Nach der Retrospektive von Poul Gernes folgt das britische Künstlerduo Gilbert & George in den Deichtorhallen. Deren Credo ist: Art for all. Das ist zumeist Kunst, die das Paar selbst abbildet. Wenn Luckow hinter seinen Schreibtisch blickt, kann er bis in die Spitze der mächtigen Ausstellungshalle sehen. Man sieht ihm seine Begeisterung an, wenn er beschreibt, wie sich der Raum vor seinem Auge verdunkelt, die bunten Kirchenfenster einziehen und oben auf der Kanzel Gilbert & George thronen. Art for all, die angebetet werden kann. Das Ritual der Bühne erkennt man aber auch bei Poul Gernes an der Serialität der Werke. Sie hängen akkurat übereinander an der Wand und auf weißen Stellwänden, eine Farbfläche wechselt mit der nächsten. Pleasure und Enjoyment wollte Gernes laut Luckow mit seiner Kunst verbreiten. Doch die Deichtorhallen strahlen an diesem Sonntag eine bemerkenswerte Ordnung und Stille aus. Die Besucher bewegen sich langsam von Stellwand zu Stellwand, eine Gruppe Frauen sitzt vor einem Video auf einer Bank und starrt, man spricht gedämpft. Ein Besucher zeigt auf eine Wand und sagt: »Guck mal, wie bei Ikea.«
Für Luckow war es eine erfolgreiche Ausstellung. Er wirkt jetzt wie der sympathische Manager, der nichts zu verlieren hat. Leichtfüßig. Entspannt. Er sagt: Gernes sei eine Entdeckung gewesen. Die Kunst war gut für den Raum. Und ist unglaublich viel besprochen worden. Viel Begeisterung, nur ein Verriss. Trotz geringem Werbeetat und der »abstrakten Kunst« kamen über 12 . 000 Besucher. Er strahlt. Nachvollziehbar machen kann Luckow nur die Besucherzahlund die Besprechung in der Presse. Der Rest liegt in seinem Ermessen. Doch er hat noch mehr Beweise und hebt einen grauen Ausdruck mit gelber Schrift in die Luft. Kulturnewsaward 2010 für die »Julia Stoschek Collection I want to see how you see« steht da und: 2 . Platz. »Können Sie sich gerne kopieren.« Eine Urkunde des Hamburger Stadtmagazins Kulturnews . »Eine mitreißend inszenierte Ausstellung!«, sagt Luckow. »Sie hatte eine Art Aufweckwirkung für Hamburg. 1 . 300 Leute kamen zur Eröffnung, aus Berlin, aus dem Rheinland, die ganze Szene war da!«
Die Jugend und kulturferne Schichten
»Bildungsauftrag« steht in seinem Vertrag. Das sei für Luckow der Auftrag, anspruchsvolle Kunst zu zeigen. Was das heißt, bleibt auch für ihn vage: »Die Ausstellungen in den Deichtorhallen müssen als absolut verlässliche Indikatoren der Gegenwart wahrgenommen werden.« Schon das sei anspruchsvoll. »Populäre Ausstellungen wie die Traummänner-Schau in diesem Jahr waren für ein klassisches Ausstellungshaus wie das Haus der Photographie eher ein ungewöhnliches Format. Doch in diesem Fall gab allein der Erfolg der Ausstellung recht. Sie lockte viele Jugendliche und kulturfernere Schichten in die Deichtorhallen«, erinnert sich Luckow. Jugendliche, kulturferne Schichten und Hippies. Randgruppen in den Deichtorhallen. Es folgt ein Satz wie aus dem Handbuch für Museumsdirektoren: »Der Plan, möglichst einmal im Jahr eine Blockbuster-Ausstellung ins Programm einzubauen, um andere, weniger besucherintensive, dafür künstlerisch besonders wertvolle und anspruchsvolle Projekte finanziell zu stützen, ist eine Möglichkeit, mit niedrigen Etats umzugehen.«
Was aber bietet er einem Publikum, das mit völlig neuen Referenzen durch die Welt geht? Wie reagiert er darauf inhaltlich? »Schwer«, sagt Luckow. Und nach ein paar Sätzen der Erklärung: »Ich glaube, dass es zur Gegenwart, der technischen Entwicklung und der Wirkung der vielen Bilder noch keine künstlerische Antwort gibt.« Im Juli 2011 verzeichneten die Deichtorhallen demgegenüber deutschlandweit die größte Zunahme an »Gefällt mir«-Klicks bei Facebook im Bereich Kunst. Für Luckow ein Indiz für das Interesse junger Leute am Programm des Hauses. Auf die Frage hin, wie er und sein Team es schaffen, sich den Vorstellungen der ihm unbekannten Besucher zu nähern – oder ihnen voraus zu sein –, lächelt Luckow wieder. Er spricht betont ruhig und gibt sich milde: »Da kann man sich auch leicht verzetteln, nicht wahr? Wenn man sich so in alle hineindenken möchte.« Wenn Luckow die Bedürfnisse des Publikums bei der Ausstellungsplanung nicht einbeziehen kann –
Weitere Kostenlose Bücher