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Kunstblut (German Edition)

Kunstblut (German Edition)

Titel: Kunstblut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Schüller
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den ersten Blick wahlloses Hinter-, Neben- und Durcheinander verschiedenster Videosequenzen, darunter lief ein Textstreifen in einer mir fremden Sprache, und aus unsichtbar angebrachten Lautsprechern tönte halblaut unverständliches Gebrabbel. Ich sah für eine Minute zu und suchte nach dem immanenten Zusammenhang, fand ihn aber nicht. Trotzdem schien mir plötzlich, ich hätte irgendeine wichtige Information erhalten, ohne sie erkannt zu haben. Ich starrte weiter auf das Geflimmer aus Spielfilmausschnitten, Homevideos, CNN -Schnipseln und Farbeffekten.
    »Komm, lass uns weitergehen«, maulte Friedel, »wenn mein Bier nicht schon leer wär, würd es hier schal werden.«
    Ich trank mein Glas aus und reichte es ihm. »Dann hol doch noch mal zwei. Ich warte hier.«
    »Findest du das Ding etwa gut?«, fragte er fast beleidigt und zog mit den leeren Gläsern ab.
    Die Sequenzen wiederholten sich unregelmäßig. Schon dadurch war es unmöglich, festzustellen, ob man alle gesehen hatte, zudem waren viele der Ausschnitte nur Sekundenbruchteile lang.
    Und wieder hatte ich das Gefühl, etwas Entscheidendes gesehen und nicht völlig registriert zu haben. Mit zusammengekniffenen Brauen stierte ich konzentriert auf die flackernde Projektionsfläche – ohne Ergebnis, bis Friedel zurückkam.
    »Das scheint dir ja wirklich zu gefallen«, sagte er und reichte mir ein Alt.
    »Da ist irgendwas«, murmelte ich und nahm einen Schluck.
    »Meinst du die Szene da?« Friedel wischte sich Schaum von der Oberlippe.
    »Welche?«
    »Na ja, ist schon wieder vorbei. Die, wo der Mann am Schreibtisch erschossen wird.«
    »Am Schreibtisch?«
    »Ja. Ein Mann sitzt am Schreibtisch, kriegt eine Kugel in den Kopf und fällt nach vorn – Schluss. Dauert keine zwei Sekunden.«
    Ich starrte minutenlang auf die Videos, aber ich konnte die Szene nicht entdecken, Friedel auch nicht.
    »Vielleicht hab ich mich auch geirrt«, sagte Friedel. »In dem Geflacker.«
    Einer der jungen Glatzköpfe näherte sich in Begleitung einer noch jüngeren Dame, die eifrig auf einen Notizblock kritzelte. Sie blieben neben uns stehen, er wies mit großer Geste auf die Projektionsfläche.
    »Sie müssen das Ganze natürlich als work in progress betrachten. Mein Konzept erlaubt die Evokation des umfassend Fühlbaren, die Durchdringung des Seins, wie sie in dieser Perfektion in anderen Ausdrucksformen schlicht nicht erreichbar ist. Selbstredend bedingt die Superiorität des Gedankens ein ständiges Wachsen und Transformieren, einen infiniten Schaffensprozess als Reaktion auf die permanente Illusion, die Realität zu nennen wir übereingekommen sind.«
    Die junge Frau sah ihn mit großen Augen an und nickte. Er warf noch einen langen, zufriedenen Blick auf sein Werk, dann zog er ab in Richtung Buffet. Der Blick der jungen Frau schwankte zwischen ihm und der Leinwand hin und her, nach zwei Sekunden entschied sie sich, ihm zu folgen.
    »Er scheint an sein Konzept zu glauben«, sagte Friedel.
    »In der Tat.« Ich trank einen Schluck von meinem langsam warm werden Alt.
    Ein unterdrücktes Raunen entstand am Treppenabsatz. Van Wygan erschien. Seine Glatze überragte die Umstehenden. Zielstrebig bewegte er sich auf den OB zu, der tatsächlich einen Diener zu ihm hinauf machte. In dem Gedränge um die beiden entdeckte ich für Sekundenbruchteile auch den Kopf von Madame Toussaint.
    Etwas abseits, aber nicht weit entfernt von den beiden tauchte plötzlich ein rübenförmiger Schädel auf, der so gar nicht hierher passte. Friedel hatte ihn auch entdeckt.
    »Schau an, seit wann interessiert sich Arnie Koppmann für moderne Kunst? Ob er mal was anderes über dem Bett hängen haben will als diese ewigen röhrenden Hirsche?«
    Meiner Meinung nach hatte Arnie allenfalls ein Dolly Buster- oder Gina Wild-Poster über dem Bett hängen.
    Arnie hielt sich stets in der weiteren Umgebung des Professors auf. Unter seiner Achsel beulte sich der Anzug, den er wahrscheinlich noch bei Selbach gekauft hatte.
    Der Pulk um van Wygan und den OB setzte sich in Bewegung und kam auf uns zu. An den verschiedenen Exponaten verharrte die Gruppe jeweils, um den Ausführungen des Professors zu lauschen und dann und wann in verhaltenen Applaus auszubrechen. Nur an dem Filzturm schritt van Wygan vorbei, ohne den Kopf zu wenden. Als sie die Stahlplatte erreichten, fiel sein Blick auf mich. Er richtete sich auf und starrte mir in die Augen. Ich starrte zurück. Es endete unentschieden. Mit wenig verhohlenem Ärger wandte

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