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Kunstblut (German Edition)

Kunstblut (German Edition)

Titel: Kunstblut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Schüller
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er sich wieder seinem Publikum und der Metallplatte zu.
    Er erläuterte die sich verweigernde Symbolik des scheinbar profanen Materials, das Schutz und Bedrohung zugleich sei und den zivilisatorischen Nachhall seiner Genese nicht verleugnen müsse.
    Es folgten Sekunden andächtigen Schweigens, bis Friedel laut »Aha« sagte. Alle Köpfe drehten sich ihm zu, auch der zähnefletschende des Oberbürgermeisters. Die Atmosphäre bekam etwas Bedrohliches, doch kurz nachdem die Stille peinlich geworden war, gellte eine verzerrt verstärkte Männerstimme durch den Flur.
    »Ladies and Gentlemen, wenn ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten dürfte!« Ein sehr großer Mann Anfang dreißig, in Jeans und Lederjacke gekleidet und mit langen, im Nacken zusammengebundenen Haaren, stand an dem Filzturm und hielt das Megaphon vor den Mund. Er hätte besser in den »Weißen Bären« als hierher gepasst. Sein britischer Akzent war auch in dem quäkenden Klang der Flüstertüte nicht zu überhören. Die grelle Stimme stand in Kontrast zu dem riesigen, unbeholfen wirkenden Körper. Die Gruppe neben uns wandte sich um und bewegte sich auf ihn zu. Nur van Wygan blieb neben der Stahlplatte stehen. Er blickte auf den Mann mit einem Ausdruck, als sehe er einen Haufen Exkremente.
    »Ich weiß, meine Damen und Herren, dass das Konzept meines Ausstellungsstückes den Herrn Professor nicht überzeugen konnte, und ich bin ihm dankbar dafür, dass er mir dennoch die Möglichkeit eingeräumt hat, es hier zur Diskussion zu stellen.«
    Ein zischendes Flüstern ging durch den Saal.
    »Mir gefiel’s eigentlich am besten«, sagte Friedel.
    »Ich möchte mein Werk ›Babel‹ heute Abend um die Facette der Performance bereichern«, fuhr der Mann fort. »Bitte jetzt das Licht etwas dimmen …« Er senkte das Megaphon. Sein Blick fuhr durch den Raum, für Sekunden blieb er an van Wygan hängen. Der Professor schüttelte den Kopf, ohne dass der Ekel aus seinem Gesicht verschwunden wäre.
    Der Mann schob das Kinn vor. Er atmete schwer, fast schien er den Tränen nahe. Das Megaphon in der Hand, stieg er den Filzhügel empor, bis er den Farbeimer neben dem Fernseher erreicht hatte. Mit einer Hand riss er den Deckel ab und schüttete hellrote Farbe auf den Filzturm. Sie lief dickflüssig in breiten Streifen hinab. Ein scharfer Lackgeruch verbreitete sich. Der Mann hob etwas, das wie eine Fernbedienung aussah, und auf dem Fernseher erschien der Kopf des Professors.
    »Ich fordere«, seine Stimme drang blechern aus dem Lautsprecher, »ich fordere! Konsequenz!«
    Der Bildschirm erlosch für Sekunden, dann erschien van Wygan erneut und wiederholte den Satz. Sechs- oder siebenmal rotierte die Videoschleife, während der Mann reglos neben dem Turm stand. Dann hob er das Megaphon und sprach den Text mit:
    »Ich fordere … ich fordere! Konsequenz!«
    Bei jeder Wiederholung wurde er lauter, bald begann seine Stimme sich zu überschlagen. Zwischen den Sätzen herrschte jedes Mal atemlose Stille, in die so plötzlich, dass sogar ich zusammenzuckte, die grelle Stimme des echten van Wygan hineinschnitt:
    »Genug!«, schrie er. »Stellen Sie das ab, Swann!«
    Swann drehte ihm den Kopf zu. Er schwieg jetzt, nur der Fernseher hinter ihm wiederholte den Satz. Mit gesenktem Kopf sah er den Professor an. In seinem Blick stand etwas, das mich beunruhigte: ein verzweifelter Triumph, als habe er van Wygans Reaktion erwartet. Nicht weit von ihm entfernt entdeckte ich Steen: Sein Kopf bewegte sich hektisch. Eine Videokamera vor dem Auge, versuchte er, so viel wie möglich von den Details der Szene einzufangen.
    Swann hob langsam das Megaphon:
    »Genug … ist nicht konsequent!«, kreischte er hinein, dann ließ er es fallen und hob erneut die Fernbedienung. Das Bild auf dem Fernseher verschwand, dafür begann das Gerät wilde Funken und Flammen zu sprühen. Nach wenigen Sekunden fing der feuchte Lack Feuer, das sich in Windeseile den Turm hinauffraß. Mit einem Schrei sprang Swann hinab und griff nach der Uzi.
    » KONSEQUENZ !«, brüllte er mit einer Stimme, die kein Megaphon brauchte, und hob die Waffe. Van Wygan machte zwei schnelle Schritte zur Seite und verschwand hinter der Stahlplatte. Ich hielt das für eine gute Idee und brachte mich selbst hinter einer ziemlich grobschlächtigen Dame aus massivem Holz in Deckung, während vorn der immer wieder » KONSEQUENZ !« brüllende Irre das Feuer eröffnete.
    Die Uzi ist eine seltsame Waffe. Sie wirkt so klein und zierlich, dass mancher

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