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Kunstblut (German Edition)

Kunstblut (German Edition)

Titel: Kunstblut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Schüller
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Tag hat schon beschissen begonnen, dachte Hanna und reckte ihre Hände gut sichtbar über das Autodach. Damit niemand von der Streifenwagenbesatzung auf der anderen Seite der Straße das Feuer auf sie eröffnete.
    Der junge Beamte, den sie fast überfahren hatte, trug einen auffälligen Leberfleck oder ein Muttermal zwischen Oberlippe und Nase. Hanna war sich nicht sicher, ob das Mal den Eindruck von Ekel und Wut verstärkte oder ob der junge Mann, der mit gezogener Waffe auf sie zueilte, einfach nur kurz vor der Raserei, also der ohne Streifenwagen, stand.
    »Hee, sachte!«, rief Hanna, als der Junge sie grob an den Astra drückte und durchsuchte.
    Er schwieg verbissen, erinnerte sie an ihren Sohn Julian, wenn er Fernsehverbot oder Ausgangssperre erhalten hatte und sich ungerecht behandelt fühlte. Als der Beamte die Waffe in der Innentasche von Hannas patinierter Lederjacke der amerikanischen Traditionsmarke »Schott« ertastete und sicherstellte, beeilte sie sich zu sagen: »Marke und Dienstausweis finden Sie links oben in der Brusttasche, Kollege.«
    Doch er machte keine Anstalten, Hanna weiter zu durchsuchen, sondern schlug mit der freien Hand auf das Dach des Astra. Das magnetische Blaulicht machte einen kleinen Hüpfer.
    »Sie! … Verdammt! … Wollten Sie mich absichtlich über den Haufen fahren?«, kiekste der Junge mit überschnappender Stimme. Der Kerl schnappte vor Wut fast über, und seine Stimme tat es ihm gleich.
    » Du bist mir doch in den Weg gesprungen wie ein übereifriger Kastenteufel!«, goss Hanna Öl ins Feuer.
    »Was?«, brüllte der Polizist. »Ich werde Ihnen …«
    »Berti, lass gut sein!«
    Wenn seine etwas ältere Kollegin nicht beschwichtigend zur Hilfe geeilt wäre, hätte die Situation vor der Baustelleneinfahrt am Eingang der Fußgängerzone durchaus weiter eskalieren können. Aber da war zum Glück auch die sonore Stimme des Kollegen Werner Kürten, der, fast zwei Meter groß und in beeindruckend korrekter Uniform, aus dem Baustellengelände der Hildener Sparkasse kam.
    »Immer mit der Ruhe, Kollege. Was liegt an?«
    Hanna bemerkte, dass Kürten dem halb spuckend, halb mit überschlagender Stimme vorgetragenen Katalog an Anschuldigungen nur mit einem Ohr zuhörte. Der aufgeregte Beamte stapfte wie Rumpelstilzchen vor Kürten herum, der Hanna über dessen Schulter heranwinkte.
    Dann wandte er sich dem geifernden Jungpolizisten zu: »Das ist ja alles höchst interessant und informativ. Allerdings muss ich die Angelegenheit wegen einer wichtigen Ermittlung leider erst einmal vertagen.«
    »Wie bitte? Sind Sie noch ganz dicht?«, giftete der Beamte. Sein Muttermal zuckte angeekelt auf und ab. »Die fette Kuh wollte mich über den Haufen fahren!«
    »Berti, jetzt lass doch …«, war seine Kollegin beschwörend aus dem Hintergrund zu hören.
    Doch es war bereits zu spät. Nun brannten auch bei Hanna sämtliche Sicherungen durch.
    »Wenn ich dich hätte erwischen wollen, wärst du jetzt ein Fleck auf meiner Windschutzscheibe, du Wicht!«, rief sie. Der Beamte namens Berti drängte sich an Kürten vorbei und ging auf die Kommissarin in der Lederjacke los.
    Aus der Fußgängerzone traten mehrere Passanten näher an die Szenerie heran. Viele von den Schaulustigen hatten bereits eine Zeit lang von der Mittel- und Bismarckstraße dem Aufgebot an Polizei und Feuerwehr durch den Zaun hindurch zugesehen.
    Doch dort war nicht mehr besonders viel passiert. Auf der Baustelle, die sich seit Monaten wie eine überdimensionale Wunde im Zentrum der Stadt ausgebreitet hatte, herrschte kompletter Baustopp. Und nun standen auch die Einsatzfahrzeuge der Ordnungskräfte nur noch um einen gelb-schwarzen Bagger herum, dessen Schaufel ungewohnt hoch in den Himmel gereckt und dort wie vor Schreck erstarrt war.
    Der Baggerführer und einige Blaumänner standen rauchend auf der dem Rathaus zugewandten Seite hinter dem flatternden Absperrband der Polizei. Durch die für Neugierige in der blickdichten Folie extra angebrachten Gucklöcher in der Fußgängerzone waren nach dem spektakulären Einzug der Hilfskräfte mit Blaulicht und Sirene am frühen Morgen nun nur noch Warterei und Stillstand zu beobachten.
    Also bedeutete der Aufstand am Eingang zur Baustelle eine willkommene Abwechslung für alle Beteiligten. Die Schaulustigen konnten beobachten, wie die leicht übergewichtige Frau in der Lederjacke den Angriff des jungen Polizeibeamten ins Leere laufen ließ, indem sie sich mit einer eleganten Drehung von ihm

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