Kunstblut (German Edition)
wegdrehte. Die ins Leere gehende kinetische Energie des Uniformierten nutzte sie, um ihn vor dem dunkelblauen Opel, der schon bessere Tage gesehen hatte, zu Fall zu bringen. Allerdings ohne dass sich der übereifrige Polizist beim Aufschlag auf das Verbundsteinpflaster allzu sehr verletzen konnte.
»Alle Achtung, nicht schlecht!«, meinte ein Mann mit zwei Aldi-Tüten zu einer neben ihm stehenden Frau mit Kinderwagen. Die nickte. Hinter den beiden klatschte jemand in die Hände. Das tat auch das Kleinkind im Kinderwagen.
* * *
Kürten konnte gerade noch verhindern, dass Hanna dem Idioten aus Düsseldorf bei dem Versuch, ihre Waffe zurückzuerobern, die Schulter auskugelte. Der Polizist am Boden schrie, während Hanna mit ihren obligatorischen Blundstones, den australischen Tretern mit Stahlkappe und dem geländetauglichen Profil, erst dessen Waffe wegkickte und den anderen Fuß dann auf seinem Rücken platzierte. Sie überdehnte den Arm des Mannes, bis er ihre Dienstwaffe kraftlos auf den Boden fallen ließ.
»Sofort aufhören!«, rief Kürten.
Er zerrte Hanna von dem Polizisten am Boden weg. Seine Kollegin half ihm wortreich auf und entfernte ihn vom Schauplatz, nicht ohne dass Berti »Dich krieg ich noch!« über seine Schulter rief und »Das wird ein Nachspiel haben!«.
»Du kannst jederzeit Revanche haben. Wenn du noch eine Abreibung willst!«, rief Hanna zurück.
In der Menge der Neugierigen waren Gelächter und vereinzelter Applaus zu hören. Offensichtlich stieß der erfolgreiche Widerstand der vermeintlichen Zivilistin gegen die Staatsmacht auf Gegenliebe.
Nicht so bei Kürten.
»Sag mal, bist du noch zu retten?«, zischte er, während er Hanna hinter die schützende Einzäunung der Baustelle zog.
»Das Letzte, was wir gebrauchen können, ist ein Skandal, weil du einen Kollegen umhaust!«
Kürten schob Hanna über den hellbraunen Sand der Baustelle. Das Gelände war schätzungsweise so groß wie ein Fußballfeld. Verschiedene Sorten Bauschutt waren säuberlich nach Arten geordnet auf der Itterseite des Geländes gestapelt worden. Baustahl, Holzbalken und mit erstarrtem Beton verklebte Schütten für die Baukräne standen herum.
Das gesamte Areal der ehemaligen Sparkasse lag vor ihr wie ein gigantischer Sandkasten. Drei Winter zuvor hatte die zugereiste Hanna die Schalterhalle des Geldinstitutes mit den groß gemusterten, abgelebten Teppichböden während einer Ermittlung zum ersten Mal betreten. Nun lag das Gebäude in sortiertem Schutt und penibel weggeräumter Asche. Bis auf …
»Das verdammte Treppenhaus steht ja immer noch!«, sagte Hanna düster.
Obwohl sie sich dem zweistöckigen Betonquader, dem Moniereisen wie nachlässig abgetrennte Schlagadern aus dem Baukörper ragten, von der anderen Seite her näherten, hatte sich Hanna das Bild einer gekreuzigten Frau für immer in ihr Gedächtnis eingebrannt.
Es war einer der brutalen Morde des Mannes gewesen, der am Morgen auf dem Weg zu seinem Gerichtsverfahren erschossen worden war.
»Wir können das Ding noch nicht abreißen«, sagte Kürten.
»Wegen dem Mord an Sally Abani?«, fragte Hanna leise.
Der Gedanke an die blutige Spur der Kreuzigung auf der anderen Seite des Quaders jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken. Sie wollte nicht an diesem Ort sein. Sie musste endlich von den Taten und Tatorten des Mannes, der sie gequält, verfolgt und mit dem Tode bedroht hatte, Abstand gewinnen – und wollte nicht. unmittelbar nachdem sie auf den Treppenstufen zum Gericht mit dessen Blut an den Händen zurechtkommen musste, erneut mit Striebek und seinem Wahnsinn konfrontiert werden.
Eine kleine Verschnaufpause, mehr will ich ja gar nicht, dachte Hanna, während sie neben Kürten auf den letzten Betonklotz der Hildener Sparkasse zustapfte.
»Müssen wir auf die grausige Seite?«, fragte sie.
Kürten schüttelte eilig den Kopf, als ob er diese Frage von Hanna erwartet hätte.
»Keine Sorge. Du bist wegen einer anderen Sache hier.«
Hanna sah Kürten ungläubig an. Der nickte, schob Hanna über eine Stahlplanke und bog in ausreichendem Abstand vor dem Betonklotz rechts ab.
In Anlehnung an den Film »2001: Odyssee im Weltraum«, einen ihrer Lieblingsfilme, hatte Hanna den Betonquader insgeheim mit der Bezeichnung »gruseliger Monolith« bedacht. Sie war froh, die blutverkrustete Seite, an der Striebek das Opfer hatte ausbluten lassen, nicht noch einmal ansehen zu müssen.
»Bauarbeiter haben beim Ausheben der Grube für den
Weitere Kostenlose Bücher