Kunstgriff
wird eine wahre Kostbarkeit angeboten, aus der Reihe der ›Meditationen‹. Du weißt, diese Bilder im kleinen Format, auf das Wesentliche reduziert und dadurch unglaublich kraftvoll, die Jawlensky in Wiesbaden malte, obwohl er bereits sehr an seiner Krankheit litt. Lisa Kümmel musste ihm den Pinsel an den Händen festbinden.«
Norma erinnerte sich gut an den Titel über die schmerzenden Hände, der im Museum hing. Über die junge Lisa hatte sie in den Biografien und Briefwechseln gelesen. »War sie nun seine Geliebte, oder nicht?«
Undine lächelte hintergründig. »Fest steht, dass sie sein Leben sehr bereicherte. Lisa war 33 Jahre jünger als er, und ihrer Beziehung sagt man nach, dass sie geradezu symbiotisch gewesen sein soll. Für ihn hat sie alles aufgegeben. Ihren Beruf, eine eigene Familie. Ohne Lisa hätte er in den letzten schweren Lebensjahren nicht mehr arbeiten können.«
»Willst du das Bild kaufen?«
»Als ob ich mir das im Augenblick leisten könnte! Aber vielleicht ist Dr. Regert interessiert?«
»Sofern er eine so hohe Summe investieren möchte. Was hat er über sich erzählt?«
»Dass er vor Kurzem die Liebe zu den Expressionisten entdeckt hat! Allen voran für Jawlensky. Er ist Mediziner und war lange in den USA in der Stammzellenforschung beschäftigt. Seit ein paar Jahren arbeitet er in einem Frankfurter Institut.«
Die Türglocke kündigte Besucher an. Undine ließ ein älteres Paar herein, das sie mit Namen begrüßte. »Sie kommen oft und haben noch nie etwas gekauft«, raunte sie Norma ins Ohr und verließ die Galerie, um im privaten Arbeitszimmer mit Lutz und Dr. Regert zu telefonieren.
Norma blieb am Schreibtisch zurück, behielt die Gäste im Blick und erledigte dabei in ihrer Rolle als Assistentin einige Anrufe, um die Undine sie gebeten hatte. Mittendrin meldete sich das Handy. ›Eiko Ehlers‹ war auf dem Display zu lesen.
Musste das sein? Sie wollte im Augenblick nichts entscheiden. Eine irrationale Abneigung. Eiko war zuverlässig und zahlungsfähig; ein Mieter, nach dem sich andere Wohnungsbesitzer die Finger geleckt hätten. Sollte sie ihm einen Konkurrenten vorgaukeln? Als sie endlich abnahm, hatte sich bereits die Mailbox eingeschaltet. Sie ließ fünf Minuten verstreichen, bevor sie zurückrief.
»Die Wohnung ist wie gemacht für mich«, schwärmte er, »und die Taunusstraße eine gute Adresse. Also, sind wir uns einig?«
»Einen Augenblick bitte, Eiko! Ich melde mich sofort wieder.«
Der Besucher war an den Schreibtisch herangetreten und bat um einen Kaffee für sich und seine Begleiterin, die es sich bereits in der Sitzecke bequem gemacht hatte und in einem Katalog blätterte. Froh über die Unterbrechung, stand Norma auf und ging zur Kaffeemaschine in der Fensternische. Ihr Verhalten Eiko gegenüber war ebenso kindisch und unberechenbar wie die Panikattacke im Kommissariat. Lutz würde darauf drängen, dass sie die Therapie wieder aufnahm, falls er davon erführe. Sie hatte nicht die Absicht, ihm davon zu erzählen. Ebenso wenig würde sie sich einem Therapeuten anvertrauen. Sie musste allein damit fertig werden, wollte sie sich ihre Selbstachtung bewahren.
Vor dem Prozess hatten sie sich einige Male zum Essen und auf ein Glas Wein getroffen. Eiko Ehlers war sympathisch, humorvoll. Doch in ihrem Kopf hatte sich ein Bild festgesetzt: Ehlers und sein Mandant, die in der schmucklosen Besprechungszelle die Köpfe zusammensteckten. Ganz im Vertrauen, Herr Anwalt … Während der Kaffee in die Tassen tropfte, sackte ihr das Blut in die Beine. Auf der Stirn sammelte sich kalter Schweiß. Sie suchte Halt auf der Fensterbank. Atmen!
Die Besucherin eilte heran, umfing sie mit mütterlicher Sorge. »Meine Liebe, wie blass Sie aussehen!«
Norma hielt sich fest und lächelte schwach. »Nur die Sommergrippe. Milch? Zucker?«
»Danke. Schwarz. Ja, man sollte sich hüten bei diesem Wetter. Überlassen Sie das mir.« Fürsorglich nahm sie die Tassen entgegen und trug den Kaffee zum Glastisch hinüber.
Auf unsicheren Beinen kehrte Norma zum Schreibtisch zurück und griff nach dem Handy. »Eiko? Vielleicht möchte ich lieber selbst einziehen.«
»Hör mal, Norma, das fällt dir früh ein! Wieso hältst du mich hin?«
»Ich halte dich nicht hin!«
»Nicht? Wie auch immer! Also muss ich mich anderweitig umschauen. Mach’s gut, Norma!«
Die ersehnte Erleichterung blieb aus. Wenigstens machte der Blutstrom nicht mehr vor dem Gehirn Halt. Der Schwindel ließ nach und damit
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