Kunstgriff
haben, aber vorerst lässt sich nichts nachweisen. Der Diebstahl ist eigentlich nicht unsere Angelegenheit. Wir haben genug mit dem Bogenschützen zu tun.«
Sie lächelte und sagte: »Dazu habe ich etwas im Angebot.«
»Norma, ohne dich wären wir arbeitslos! Schieß los!«
»Nicht so schnell, Luigi.«
Er grunzte unwillig. »Du willst handeln? Machst du das mit Dirk immer so?«
Sie lachte leise. »Du weißt genau, dass Dirk nicht handelt. Dafür kann ich mich auf sein Wort verlassen.«
»Auf mein Wort vielleicht nicht?«
»Zuerst versprichst du mir, dass ihr meine Information nicht öffentlich verwendet. Sonst ist gleich klar, von wem ihr das habt, und Mieke Lienhop hat jedes Vertrauen verspielt.«
»Ich halte mich daran, Norma. Raus damit.«
Mit gesenkter Stimme erzählte sie von Ricos Schießübungen.
Milano schnalzte mit der Zunge. »Weißt du, wann und wo sich der Junge im Bogenschießen versucht hat?«
»Das dürft ihr selbst ermitteln. Vergiss dein Versprechen nicht!«
»Du hast mein Wort, Norma. Du weißt nicht zufällig, wie dieser Bogen aussieht?«
»Ich schicke euch die Fotos. Denk daran, von mir habt ihr das nicht.«
»Meinetwegen. Eins noch, Norma.«
»Das wäre, Luigi?«
»Pass auf dich auf!«
18
Dienstag, der 17. Juni
Am Vormittag wartete sie, bis Rico in Laufschuhen aus dem Haus ging. Sie wollte sichergehen, dass er sich nicht mit dem Rad ins Sportstudio aufmachte und zufällig vorbeiradelte, wenn sie das Büro betrat. Selbst ihre anspruchslosen Zimmerpflanzen brauchten ab und zu Wasser, und sicherlich hatte sich einige Post eingefunden. Im Berufsverkehr benötigte sie eine Viertelstunde bis hinunter zum Rhein, auf den sie sich wie auf einen alten Freund freute. Sie parkte den Polo vor der Mauer, die die Schlossterrasse auf der rheinwärts gelegenen Seite abschirmte. In der Morgensonne glitzerte das Wasser tiefblau wie der Ozean, und die lichtgrünen Platanenblätter tanzten im Wind. Ein Schwarm Großsittiche, die zu Wiesbadens Parkanlagen gehörten wie andernorts Eichhörnchen und Tauben, flatterte hoch über ihren Kopf hinweg und hieße sie mit wildem Kreischen willkommen. Die Wohnung lag wenige Schritte abseits im ursprünglichen Biebricher Stadtkern. Norma schob das Tor auf und hielt im Hof nach Evas Wagen Ausschau, der zwar an seinem Platz stand, aber nicht bewies, dass die Vermieterin zu Hause war. Eva fuhr oft mit dem Fahrrad zur Schule. Auf das Klingeln meldete sie sich nicht. Stattdessen schlenderte der Kartäuser heran, setzte die Pranken in einer zierlichen Linie voreinander und schlug einen Bogen um Norma. Sie ging in die Hocke und lockte ihn zu sich, bis er sich gnädig das blaugraue Kinn kraulen ließ und sie ins Haus begleitete.
Sie hielt sich nur kurz in der Wohnung auf und ging wieder hinunter. Der Kater trottete voraus. Zwischen der Haustür und dem Büroeingang befand sich das breite Schaufenster. Gegenüber lag die Bäckerei, deren Anblick ihren Magen knurren ließ. Die Post zuerst! Eva hatte die Briefe gesammelt und auf den Schreibtisch gelegt. Mit flinken Fingern sah Norma den Stapel durch, schob die Werbung in den Papierkorb und öffnete, was ihr wichtig erschien. Nach zehn Minuten hatte sie alles durchgesehen. Sonst blieb nichts zu tun. Die Anrufe wurden auf das Handy weitergeleitet, und die elektronische Post rief sie über das Notebook ab. Jetzt galt es, Leopold wieder ins Freie zu verfrachten, der sich auf dem oberen Regalboden niedergelassen hatte. Beim Versuch ihn herunterzuheben, drohten Schrammen, wusste sie aus Erfahrung. Das sonst so sanfte Kerlchen ließ sich ungern zwingen. Also half nur Überzeugungsarbeit. Im unteren Fach fand sich eine Dose Katzenfutter. Er liebte das Geräusch, mit dem sich der Deckel löste, und spitzte die Ohren. Nun genügten wenige Schmeicheleien und der Duft des Futters, ihn vom Ausguck herunterzulocken. Mit einem dumpfen Plopp landete er auf dem Schreibtisch.
Das Futter gab es draußen. Widerstrebend betrat er den Gehsteig. Geschafft! Während der Kater bettelnd um ihre Waden strich, versperrte sie die Tür und kippte das Futter auf die Fensterbank. Leopold stürzte sich wie ein ausgehungerter Löwe darauf; eine Gier, die im Widerspruch zur barocken Figur stand. Er würde keinen Krümel übrig lassen. Endlich durfte sie an den eigenen Appetit denken. Die Croissants von gegenüber vermisste sie nicht weniger als den Anblick des Rheins. Als sie sich umwandte, fiel ihr vor dem Bäckerladen ein Mann auf, der aufmerksam
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