Kunstgriff
auf.
19
Wolfert hatte soeben das Telefongespräch mit Norma beendet, als Irene Maibaum den Kopf durch den Türspalt schob. Sie hatte den Rotton ihrer Haare vertiefen lassen, stellte er mit einer gewissen Verblüffung über die eigene Aufmerksamkeit fest.
»Gut, dass du da bist, Dirk. Frau Reisinger möchte dich sprechen. Es sei dringend, sagt sie.«
»Sie ist bereits hier?«
Der Rotschopf nickte. »Sie wartet im kleinen Besprechungszimmer.«
Die Unterbrechung kam ihm gelegen. Er war allein im Büro. Milano hatte sich aufgemacht, um einem Hinweis aus dem Gastronomiegewerbe nachzugehen, und zuvor mit der Laune eines gereizten Stiers an den Texten für die Akten getippt. Die Schreibarbeit kostete Stunden, wie bei jedem Fall. Wolfert war zum wiederholten Mal die Aussagen von Rico Götz und Nina Santini durchgegangen, die wie abgesprochen klangen. Sie wollten sich gegenseitig decken, was ebenso verdächtig wie unanfechtbar blieb. Jede Beteiligung an dem Diebstahl stritten sie vehement ab. Auf die Frage, wozu er sich das Auto seines Freundes ausgeliehen habe, wollte Rico Götz keinen triftigen Grund nennen. Er liebe das Autofahren, könne sich einen eigenen Wagen aber nicht leisten. Mehr würde er dazu nicht sagen.
Anschließend beschäftigte Wolfert sich mit der Sachlage zum Sportbogen, den Norma entdeckt hatte. Keine Mordwaffe, nach Einschätzung der waffenkundigen Kollegen. Daniel Götz hatte es als junger Mann zu meisterlichen Ehren im Bogenschießen gebracht und war auch aus polizeilicher Sicht kein unbeschriebenes Blatt, sofern man der Körperverletzung – eine Kneipenschlägerei, die als Jugendsünde durchgehen könnte – eine größere Bedeutung beimessen wollte. Der Junge hatte sich gefangen, die Schule nachgeholt und studiert. Daniel Götz sei in seinem Beruf als Sozialarbeiter beliebt und anerkannt, versicherte die Chefin, die Wolfert am frühen Vormittag in ihrem Büro aufgesucht hatte, und beschrieb ihn als eine verwirrende Mischung aus Nazi, Punker und guter Seele, die allerdings niemanden zu vorschnellen Schlüssen verleiten sollte. Bemerkenswert schien Daniels Einsatz für ›die verlorenen Kinder der Straße‹, wie die Leiterin der Sozialbehörde die Tatsache umschrieb, dass Götz zwei Wohnungen seines Hauses obdachlosen Jugendlichen kostenlos zur Verfügung stellte. Allerdings ging er dabei äußerst unkonventionell vor und handelte zu oft an den Belangen der Behörde vorbei. Auch einige Leute aus der Nachbarschaft zeigten sich verunsichert durch die Straßenkinder. Unter diesen Umständen vergab man das Lob nur unter vorgehaltener Hand. Offiziell existierte Daniels Engagement nicht, und die finanzielle Unterstützung war nicht erwähnenswert.
Wolfert schrieb eine Notiz für einen Kollegen, der sich darum kümmern sollte, wie Götz in den Besitz des Hauses gelangt war und ob der Bruder tatsächlich einen Anteil daran besaß, wie Norma in Erfahrung gebracht hatte. Die Entscheidung, wie mit Daniel Götz verfahren werden sollte, ob und wann eine Vernehmung sinnvoll wäre, lag bei Gert. Die Ermittlungen hatten diesen Zustand erreicht, in dem sich alles im Kreis zu drehen schien. Kein seltenes Phänomen, Wolfert kannte diesen Stillstand aus anderen Fällen. Bis unverhofft ein neues Detail genügte, um den Fall wieder ins Laufen zu bringen. Nicht selten rasant bis zur Aufklärung. Jedes Mitglied der Sonderkommission lauerte darauf, diese Spur zu finden. Vielleicht lag diese Chance nun in Daniel Götz und dem Sportbogen, überlegte er hoffnungsvoll. Oder in dem Anliegen, das Mareike Reisinger hergeführt hatte.
Sie wartete am Tisch und hielt die bauchige Handtasche auf den Schoß fest, als hätte sie einen Schutzwall nötig. Wolfert ließ sich ihr gegenüber nieder. Blass und müde sieht sie aus, dachte er mitfühlend. Sie sei auf Wohnungssuche, erklärte sie, und könne nicht mehr lange in Pitts ehemaligem Zuhause bleiben. Seine Familie habe es eilig, die Wohnung zu verkaufen. Wolfert wusste davon. Eine Spur, der die Kollegen nachgingen. Mord aus Habgier.
»Zu Ihrem Mann möchten Sie nicht zurück?«
Sie hob den Blick, als hätte er ihr ein unseriöses Angebot gemacht. »Wie soll das gehen? Wo er Pitt auf dem Gewissen hat!«
»Wenn! Wenn!«, entfuhr es Wolfert. »Wir können Ihrem Mann bisher nichts nachweisen.«
Obwohl Reisingers Aussage nach wie vor unbestätigt war. Die Verwandtschaft war bislang nicht vernehmungsfähig.
Mareike Reisinger schlug die Hände vor das Gesicht, bevor sie ihn
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