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Kunstgriff

Kunstgriff

Titel: Kunstgriff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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zu machen. Mit mäßigem Erfolg, sofern es die Erlöse betrifft. Trotzdem zutiefst dankbar, wendet der Maler ihr mühsam
den kahlen Schädel zu und haucht:
    »›Galka, Galka, meine liebe Galka! Ich weiß nicht wer das Geld gibt, sage bitte diesen gütigen Menschen, dass ich sie mit meiner Seele umarme und innigst, innigst bedanke. Du weißt Galka wie es mir jetzt geht und dass mir nur die Lebereinspritzungen helfen können, aber sie sind teuer: Ich leide unendlich, aber ich muss noch etwas am Leben bleiben.‹«
    Nun tritt die vierte Frau hervor, Tony Kirchhoff, eine elegante Erscheinung mit Hut und Pelzmantel, und erklärt spitzfindig, er selbst sei nicht unschuldig an dem finanziellen Elend. Ihr Mann Heinrich, dem es an Geld nicht mangele, wäre der Rolle des Mäzens gern treu geblieben, hätte sich das Liebesverhältnis zwischen ihr und Alexej nicht als stadtbekannt und für den Ehemann brüskierend entwickelt. Hört auf, ihn zu quälen, ruft die fünfte Frau, ein junges Mädchen noch, und erklärt mit andächtigem Blick, sie opfere ihr Leben und ihre Jugend ohne Einschränkungen Jawlensky und der Kunst. Ihr eigenes Können sei nichts gemessen an der gottgegebenen Begabung des Malers. Mit diesen Worten beugt sie sich zu dem Sterbenden herab und schnürt die Lappen um seine Hände fester.
    Mit dem Eingreifen der tatkräftigen Lisa Kümmel brach der Traum ab. Norma saß aufrecht im Bett, aufgewühlt von den lebhaften Bildern und den Erklärungsversuchen, die auf sie einstürzten. Seit Tagen hatte sie sich nicht mehr mit der Biografie befasst. Wieso ausgerechnet jetzt dieser Traum? Sie hatte das Gefühl, der Lösung nahe zu sein, bevor sie die Frage wusste.
    Unsinn! Das Rätsel war ihr bereits bestens bekannt! Wie elektrisiert sprang sie aus dem Bett und lief in die Küche. Der Zettel lag auf dem Küchentisch, wie sie ihn sich am Abend bei einem Glas ›Martinsthaler Wildsau‹ noch einmal vorgenommen hatte. Laut rezitierte sie den Vers:
     
    »›In Erwartung des lichten Morgens,
    Versunken in verhaltener Glut,
    Geheimnis in Licht und Finsternis.
    Weisheitszeichen im ruhenden Licht.‹«
     
    Das war die Lösung! Sie strebte ins Bad, um sich hastig für den Tag bereit zu machen, obwohl es für ihr dringendstes Vorhaben viel zu früh war. Vor 10 Uhr wäre gar nichts zu machen . Noch drei quälende Stunden!
    Sie saß beim Frühstück, als Lutz anrief. »Ich konnte dich gestern Abend nicht erreichen.«
    »Ich war im Kino.«
    »Allein?«
    »Lutz!«
    »Schon gut. Ich will nicht den Anschein erwecken, als gehe mich das etwas an.«
    »Was du nicht sagst. Was gibt es?«
    Er legte eine verheißungsvolle Pause ein, um dann zu verkünden: »Ich glaube, ich kann das Gedicht erklären!«
    Nachdem sie ihn angehört hatte, lächelte sie ins Telefon hinein. »Ich für meinen Teil habe die Lösung geträumt. Wie bist du darauf gekommen?«
    Weniger durch Intuition als durch einen Griff ins Bücherregal, erklärte er amüsiert. Der blaue Balken habe ihn darauf gebracht. »Das Emblem der ›Blauen Vier‹ bestand aus vier senkrechten blauen Linien. Wobei jede Linie einen Künstler der Gruppe symbolisiert, deren Werke Emmy Scheyer in Amerika publik machen wollte. Das waren Feininger, Kandinsky, Klee und …«
    »Alexej von Jawlensky«, ergänzte sie.
    Im Regen fuhr sie in die Stadt und parkte den Wagen vor den Rhein-Main-Hallen, die dem Wiesbadener Museum gegenüberlagen. Zehn Minuten vor der Zeit wanderte sie im Schutz des mächtigen Säulenportals umher, bis sich die Museumstür auftat. Als erste Besucherin kaufte sie an der Kasse eine Karte für die Sammlung Jawlensky. Verzeihung, Alexej, bat sie im Stillen den Künstler, dem sie sich dank des Traums komplizenhaft verbunden fühlte. Nimm mir bitte nicht übel, wenn ich meine Aufmerksamkeit heute mehr auf die Tafeln nebenan als auf deine Werke selbst richte.
    Sie nahm das Gedicht hervor, obwohl sie die Zeilen auswendig wusste. Im Saal drei entdeckte sie in der Reihe der Heilandsgesichter die Titel ›Erwartung‹, ›Weisheitszeichen‹ und ›Ruhendes Licht‹ sowie den abstrakten Kopf ›Licht und Finsternis‹. ›Lichter Morgen‹ und ›Geheimnis‹ lauteten die Namen zweier Variationen. Unter den Meditationen ließen sich die Bezeichnungen ›Versunken‹ und ›Verhaltene Glut‹ finden. Hier stieß sie auch auf ›Trauer muss Elektra tragen‹. In der Nähe hingen die ›Rosa Chrysanthemen‹.
    Die Dame, die in den Sälen die Aufsicht führte, verfolgte Normas

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