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Kunstgriff

Kunstgriff

Titel: Kunstgriff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Herzschlag zog spürbar an. Die ›Blauen Berge‹, wo mochten sie liegen? Warum nicht in der Nähe? Vielleicht war der Taunus gemeint. Hastig kramte sie in der Schublade nach der Wiesbadener Umgebungskarte. Um sie auf dem Schreibtisch auszubreiten, musste sie zuerst den Kater beiseite schieben, der mit einem Prankenhieb antwortete und sich, als sie nicht auf das Spiel einging, oben auf das Regal verkroch. Was konnte der ›Große Weg‹ bedeuten? Zwei Bundesstraßen führten unmittelbar von der nordwestlichen Stadtgrenze durch den Wald in den Untertaunus hinein. Die B 54 verlief über die ›Eiserne Hand‹ nach Taunusstein-Hahn. Die andere Bundesstraße mit der Nummer 417, die sogenannte Hühnerstraße, verband die Landeshauptstadt mit Limburg und überwand an ihrem höchsten Punkt auf 500 Metern die Platte. Dort hatte man Pitt Mettens Leiche gefunden. Bestand die Ruine des Jagdschlosses nicht aus rotem Sandstein?
    Sie wollte keine Zeit mit Grübeleien verschwenden und sich lieber auf den Weg machen, bevor es ›Abend‹ wurde. Die Fahrt führte sie vom Rheinufer quer durch die Stadt in Richtung Norden. Der Radiomoderator versprach das Ende der Regentage und kündigte den neuen Start ins Sommerwetter an. Im Schein der Spätnachmittagssonne lenkte sie den Polo die Platter Straße hinauf und musste in den dritten Gang zurückschalten, um nicht an Tempo zu verlieren. Steil ansteigend und in sanften Kurven zog sich die Straße durch den Wald, bis die Kuppe erreicht war. Bevor es bergab ging, folgte Norma den Hinweisschildern zum Jagdschloss. Ringsherum gab es mehrere großzügige Abstellflächen. Metten hatte man westlich der Platter Straße aufgefunden, das Jagdschloss lag auf der anderen Seite der Straße. Norma parkte nahe beim Schloss. Eine Gruppe Wiesbadener Bürger, der auch Lutz angehörte, hatte sich viele Jahre dafür eingesetzt, dass die Ruine nicht endgültig verfiel. In den letzten Kriegstagen des Jahres 1945 wurde das Jagddomizils eines Nassauer Herzogs von Bomben getroffen und bis auf die Außenmauern zerstört. Mehr als ein halbes Jahrhundert später bekam das Gebäude eine moderne Glaskonstruktion als Dach und mauserte sich zum außergewöhnlichen Veranstaltungsort. Norma interessierte im Augenblick vor allen eines: Dass die dreistöckige Fassade im Erdgeschoss tatsächlich mit rotem Sandstein verblendet war.
    Sie stieg aus und näherte sich dem Gebäude, ohne zu wissen, wonach sie suchen sollte. Ob er sie beobachtete? Jedenfalls war sie nicht allein hier oben. Vom Jagdschloss aus führten verschiedene Wanderwege in den Wald hinein. Jogger, Hundebesitzer, Familien und Radfahrer hatten sich vom sonnigen Abend in die Natur locken lassen. Niemand erschien ihr verdächtig oder bekannt, als sie sich verstohlen umschaute. Mit den Blicken überall umrundete sie das Schloss und erreichte die Rückseite, an die sich ein sachter Wiesenhang anschloss. Eine Gruppe junger Leute hatte sich dort zu einem Picknick versammelt. Dicht dabei versuchte ein Vater, seinem Sohn das Drachensteigen beizubringen. Kein einfaches Vorhaben – ohne Wind! Norma wandte sich der rückwärtigen Fassade zu. Irgendein Hinweis? Sie musste nicht lange suchen. In einer Nische klebten zwei Zettel, der eine bunt bedruckt: Eine Farbkopie des ›Schweigenden Rot‹. Die Vorlage stammte aus dem Baseler Katalog, an den jeder herankommen konnte. Auch das zweite Blatt war eine Farbkopie und zeigte den Umschlag des Buchs, das sich mit der Korrespondenz zwischen Galka E. Scheyer und den Künstlern der ›Blauen Vier‹ befasste. Das Wort ›Briefwechsel‹ war mit einem gelben Marker gekennzeichnet. Nichts wies auf eine Geldforderung hin.
    Denk nach, Norma, ermahnte sie sich. Bisher war es einfach, zu einfach beinahe.
    Die Briefwechsel also. Was verband man mit dem Wort? Nachrichten. Briefmarken. Die Post. Die Post? War die Markierung bewusst in Gelb gehalten? Das Gelb der Post? Sie eilte auf die Jugendlichen zu. Ein Mädchen hielt ihr ein Sektglas entgegen und lud sie mit fröhlichem Lallen ein, mit auf ihren 18. Geburtstag anzustoßen.
    Norma lehnte höflich ab. »Wisst ihr, wo die nächste Poststelle ist?«
    Der Junge, der das Mädchen im Arm hielt, empfahl ihr, es in Neuhof, einem dörflichen Stadtteil Taunussteins, zu versuchen, wo es einen kleinen Schreibwarenladen mit einer Postagentur gebe.
    »Sie sollten sich beeilen«, empfahl er vorausschauend. »Um 18 Uhr macht der Laden zu.«
    Das Unternehmen nahm Formen einer Schnitzeljagd an. Norma

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