Kupferglanz
Belohnung bekam ich natürlich den Prinzen.
Auch meine Lieblingsmärchen waren die, in denen die Frau den Mann rettet, die Schneekönigin zum Beispiel oder die Schöne und das Biest. Ich konnte mir absolut nicht vorstellen, auf irgendeinem gläsernen Berg zu hocken und auf meinen Retter zu warten oder in hundertjährigen Schlaf zu sinken, aus dem mich irgendein Prinz wecken sollte.
Aber wenn Johnny ein Mörder war, konnte ich ihm nicht helfen. Und ich würde es auch gar nicht wollen.
«Das wärʹs dann erst mal, Miettinen. Das Rad werden wir natürlich noch untersuchen. Sie bekommen Nachricht, wann Sie das Protokoll unterschreiben können. Ich würde Ihnen aber raten, die Stadt nicht zu verlassen, ohne uns zu informieren. Sollen wir Sie nach Hause bringen lassen?»
«Komm ich gar nicht in die Zelle?» Johnny sah beinahe enttäuscht aus. Er sah mich an, als wollte er noch etwas sagen, überlegte es sich dann und verschwand.
«Der Kerl lügt wie gedruckt», ächzte ich, kaum dass er zur Tür hinaus war. Ich erklärte Koivu, was mich an den blauen Flecken stutzig gemacht hatte, und ging die Ereignisse vom Freitagabend noch einmal mit ihm durch. Dann berichtete ich ihm von Ellas Schmuck und meinem Verdacht. Koivu kam auf die Idee, im Labor nachzufragen, ob auf dem Schmuck Fingerabdrücke gefunden worden waren.
«Mindestens drei verschiedene, davon ein Satz von der Flöjt», sagte er, nachdem er den Hörer aufgelegt hatte. «Die von der Höjt deuten darauf hin, dass sie den Schmuck nur kurz angefasst hat, vielleicht hat sie ihn abgerissen. Die anderen sehen eher nach Befingern aus, ein Satz stammt wahrscheinlich von einem Mann.»
«Vielleicht von Matti … Wir müssten uns unter irgendeinem Vorwand die Fingerabdrücke der beiden Virtanens besorgen. Hast du noch viel zu tun, oder gehen wir essen?»
«Ins Bergwerksrestaurant?», fragte Koivu grinsend.
«Garantiert nicht! In den Kupferkrug.»
Wir waren die einzigen Gäste in dem Teil der Kneipe, wo Essen serviert wurde.
Kein Wunder bei dem trockenen Wiener Schnitzel, das uns vorgesetzt wurde.
Die Fenster gingen auf die Hauptstraße, auf der kaum Verkehr herrschte. Als wir gerade aufgegessen hatten, sah ich durch das Fenster, wie Matti Virtanen durch die andere Tür hereinkam, die zur Bierstube führte.
Ich fand ihn vor einem Glas Wodka-Soda. Sein Gesicht war rot und geschwollen, die Augen verschwanden fast hinter den wurstartigen Lidern. Er sah aus, als hätte er tagelang gesoffen. Oder geweint. Meinen Gruß erwiderte er kaum hörbar, dann erklärte er fast verschämt: «Ich trinke eigentlich nicht mitten am Tag. Aber… ich kann nicht mehr arbeiten. Und schlafen auch nicht. Meritta … » Mattis Stimme bebte um die Wette mit seinen Händen, die das Glas an die Lippen hoben. Ein Teil des Inhalts schwappte auf den Tisch.
«Du solltest besser zum Arzt gehen. Du bist ja völlig durcheinander. Lass dir ein Beruhigungsmittel verschreiben.»
«Ich probierʹs erst mal mit Schnaps. Habt ihr schön was rausgefunden?» Math hatte Koivu entdeckt, der dazugekommen war, nachdem er das Essen bezahlt hatte.
«Noch nichts Entscheidendes.» Bei Mattis derzeitiger Verfassung war es sinnlos, ihn nach dem Schmuck zu fragen. Ich fischte ein Dormicum aus der Tasche.
«Das ist was ganz Leichtes. Trink deinen Schnaps aus, geh nach Hause, nimm die Tablette und versuch zu schlafen. Mit dem Medikament wird das schon klappen.» Ich hielt Math meinen Taschenspiegel hin. «Guck dich doch mal an.
Du brauchst Schlaf und keinen Schnaps! »
Math betrachtete sich einen Moment in dem fleckigen Spiegel, schüttelte dann den Kopf und versprach, es zu versuchen. Ich schnappte mir den Spiegel, steckte ihn aber nicht in die Tasche, sondern legte ihn in den kleinen Plastikbeutel, in dem ich normalerweise die Lidschattenpalette mit dem gesprungenen Deckel verwahrte.
«Fingerabdrücke, Koivu», erklärte ich, als wir zum Arbeitsplatz zurückgingen.
«Und ich dachte, du wolltest nur freundlich zu ihm sein.»
«Das auch.»
Antikainen und Järvinen waren von ihrer Befragungsrunde zurückgekommen und machten eine Pause. Wir gingen die Bilanz der Vernehmungen durch, die immer seltsamer wirkte. Niemand hatte Meritta nach zwei Uhr gesehen. Niemand hatte gesehen, dass sie das Bergwerksgelände verließ, niemand hatte mit ihr gesprochen, nachdem Kaisa gegen halb zwei gegangen war.
Ungefähr dreißig Gäste waren noch zu befragen. Ich versprach, einen Teil selbst zu übernehmen. Das Ergebnis, das der
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