Kupfervenus
– ins eigene Fleisch schneiden.
XXXI
Da waren wir also. Titus entspannt auf seinem Thron, den rechten Fuß überm linken Knie gekreuzt, was den betreßten Falten seiner purpurnen Tunika gar nicht gut bekam. Dem Sklaven erschien es nur natürlich, meinen gepolsterten Fußschemel in die Nähe der einzigen anderen sitzenden Person zu rücken, also stellte er ihn geradewegs vor dem Podest des Caesarenthrons ab. Dann half er mir armem Hinkefuß hinauf. Anacrites trat schon einen Schritt vor, wagte dann aber doch nicht aufzubegehren, sondern schluckte gezwungenermaßen diesen Gunstbeweis seines kaiserlichen Herrn gegen mich. Ich wiederum verkniff mir das Grinsen; dazu war Anacrites denn doch zu gefährlich. Statt dessen hockte ich brav auf meinem Schemel und rieb mir wie von ungefähr das Bein, als ob mich meine armen, geschundenen Knochen plagten …
Titus war dreißig. Zu sehr ein Kind des Glücks, als daß man ihn einfach als hübschen Burschen beschreiben könnte, und zu kontaktfreudig für seinen Rang, auch wenn er sich neuerdings mit Rücksicht auf sein hohes öffentliches Amt gesetzter gab. Selbst jene Bürger, die notgedrungen irgendwo in der Provinz versauerten, kannten sein Gesicht von Münzen her als die weniger zerfurchte Ausgabe der bürgerlichen Physiognomie des Vaters und wußten, daß sein Haar gelockt war. Als Kind hatte er mit diesem Krauskopf seine Mutter womöglich genauso zur Verzweiflung gebracht wie ich die meine, aber wenn Flavia Domitilla noch am Leben gewesen wäre, so hätte sie jetzt beruhigt sein können: Ein ganzer Zirkus von Friseuren hielt ihren Ältesten adrett gestutzt, auf daß er das Reich nicht vor ausländischen Botschaftern blamiere.
Titus und ich ergaben, so nebeneinander, ein hübsches, freundliches Bild. Er hielt meinen Brief in der Hand, und kaum, daß ich mich gesetzt hatte, warf er mir die Rolle zu. Seine Augen funkelten. Titus war sonst immer so huldvoll, daß ich schon einen Streich argwöhnte – aber der Charme war echt. »Was für eine rührende Geschichte!«
»Vergebung, Caesar. Ich bin ein Feierabenddichter; mein Stil neigt zu lyrischem Überschwang.« Titus lächelte. Er war ein Förderer der schönen Künste. Ich befand mich auf sicherem Boden.
Allein, es war der falsche Moment, den Oberspion zu zwingen, daß er stumm unserem vergnügten Geplauder beiwohnte. Von meinem Argwohn angesteckt, gab Titus dem Anacrites das Zeichen, vorzutreten und seinen Fall darzulegen.
Anacrites ergriff sofort das Wort. Ich hatte ihn schon bei anderer Gelegenheit in Aktion gesehen und war auf das Schlimmste gefaßt. Er besaß das Talent des echten Bürokraten, überzeugend zu wirken, egal, was für Lügen er auftischte.
In mancher Hinsicht tat mir dieser charakterlose Karbunkel sogar leid. Er war das klassische Beispiel einer vereitelten Karriere. Erlernt hatte er seinen Beruf vermutlich noch unter Nero, in jenen von Wahnsinn geprägten Jahren des Mißtrauens und Schreckens, als sich einem Geheimagenten scheinbar einmalige Chancen boten. Doch just vor seinem großen Durchbruch kam mit Vespasian ein unverbesserlicher Provinzler an die Macht, der nichts von Palastspionen hielt. Und so mußte Anacrites nun, statt seinen Platz im Mittelpunkt eines weitverzweigten Netzes von untergründig wuselnden Termiten zu genießen, jeden Tag aufs neue den Beweis dafür antreten, daß er noch zu Recht auf der Gehaltsliste stand.
Ohne Witz. Vespasian war knickerig, wenn es um Lohnkosten ging. Ein kleiner Lapsus, ein unbesonnener Fehltritt auf diplomatischem Parkett, eine zu rasch geöffnete Tür, hinter der man ihn schnarchend an seinem Schreibtisch ertappte, während er doch angeblich auf Kontrollgang war, – und schon würde der Oberspion sich als Fischverkäufer auf einer Tiberwerft wiederfinden. Er wußte es. Ich wußte es. Er wußte, daß ich’s wußte. Vielleicht ist damit einiges geklärt.
Ich versuchte gar nicht erst, seine Rede zu unterbrechen. Nein, sollte er ruhig alle Würfel aus seinem Becher verschleudern. Zum Vorschein kam ein tückisch zusammengebrauter Schleim mutwillig entstellter Fakten, an deren Ende er als ehrlicher Profi dastand, dessen Vorgesetzte ihm einen stümperhaften Amateur als Mitarbeiter aufgehalst hatten. Ich ging aus seiner Geschichte eindeutig als gemeiner Dieb hervor.
Eindeutig waren auch die Fakten: Ein paar Bleibarren aus den kaiserlichen Minen hatten in einem Lagerhaus auf Halde gelegen. Ich wußte davon und auch, daß das Schatzamt sie vergessen hatte.
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