Kurbjuweit, Dirk
Maxi zu, die erzählte, wie
sie an diesem Tag einen Sprengsatz entschärft hatte. Er war neben einer Straße
versteckt gewesen, dort, wo ein Bewässerungskanal die Straße unterquerte.
«Ein
Kochtopf», sagte Maxi. «Hättet ihr das geahnt?»
«Wie, ein
Kochtopf?»
«Ein
Schnellkochtopf.»
«Glaub ich
nicht», sagte Ina.
«Doch.
Kann man hier an jeder Ecke kaufen. Ein mittelgroßer Topf, der Deckel wird mit
einem Bügel angepresst.»
«Die jagen
uns mit Kochtöpfen?»
«Mit
Schnellkochtöpfen. Drinnen ist Düngemittel und so ein Zeugs, macht viel kaputt,
wenn es hochgeht.»
«Kocht
ihr?», fragte Esther. «Nein», sagte Maxi. «Ich auch nicht», sagte Esther. «Ich
kann gut kochen», sagte Ina.
«Die
wollten den Schnellkochtopf mit einem Garagentüröffner in die Luft jagen. Ich
habe das Ding entschärft, kein Problem», sagte Maxi.
Esther
ging ins Bad, irritiert, besorgt. Sie hatte sich für Afghanistan gemeldet, weil
sie der Kaserne entkommen wollte. Aber ihr erster Tag war so gewesen, als sei
dies nur die Fortsetzung des Kasernenalltags bei Hitze. Dann eine Sprengfalle,
immerhin, aber mit einem Kochtopf. Sie hatte nie etwas mit Kochtöpfen zu tun
haben wollen. Dazu der Streit über das Kind. Dafür hätte sie nicht nach
Afghanistan kommen müssen.
Nach zwei
Wochen hatte Esther das Gefühl, in einer neuen öden Routine zu leben.
Mahlzeiten ordneten auch hier den Tag, die Zeit nach dem Frühstück war die
Zeit, die auf das Mittagessen zulief. Auch hier sah sie die Lächerlichkeit von
Männern, die mit bedeutungsvoller Gestik und kantigen Worten kaschierten, dass
sie keine wichtige Aufgabe hatten. Dienstbeflissenheit bei anderen. Da es
wenig zu erzählen gab, erzählte jeder ausführlich von dem, was er gerade
gemacht hatte. Zehn Minuten für das Anziehen von Radmuttern, das war die
erzählerische Meisterleistung, der sie schon bald nach ihrer Ankunft ausgesetzt
war. Sie starb fast vor Langeweile, hörte aber zu und tat sogar interessiert.
Der Unterschied zu Munster war, dass sie hier eine Flecktarnuniform trug. Der
andere Unterschied war die Hitze, mit der sie leidlich zurechtkam. Der
Fitnessraum war gut ausgestattet, abends lief sie eine Stunde lang auf den Lagerstraßen,
bald begleitet von einem der Hunde, die im Lager lebten.
Was sie
mochte, waren die Abende mit Ina und Maxi. Manchmal gingen sie ins Lummerland,
so hieß die Bar des Lagers, wo man bis halb elf zwei Bier trinken durfte. Aber
lieber holten sie sich Bier auf ihre Stube, weil sich im Lummerland meist ein
paar Soldaten dazusetzten, und sie hatten keine Lust darauf.
Maxi
erzählte wenig, Ina viel, und deshalb wusste Esther bald alles über das Kind,
das Mario hieß. Mit Mario hatten Ina und ihr Mann im Winter bei großer Kälte
eine Schneeballschlacht gemacht. Mario versteckte sich hinter einem niedrigen
Verkehrsschild und warf von dort fröhlich Schneebälle, bis er plötzlich
aufschrie und heulte. Ina dachte, sie hätte ihn im Gesicht getroffen, ins Auge
womöglich, und rannte panisch zu dem Verkehrsschild. Dort sah sie, dass Marios
Zunge am Metall festgefroren war, erzählte sie Esther und Maxi. Offenbar hatte
er sie im Eifer des Gefechts herausgestreckt.
«Es war
wirklich sehr kalt», sagte Ina, «zehn Grad unter null.»
Sie war erst
ratlos, und ihr Mann, Robert, zückte schon ein Feuerzeug, um die Zunge mit
Hitze zu lösen, aber Ina hat geschrien, du brennst ihm ja die Zunge weg. Sie
schickte ihren Mann zu einem Haus in der Nähe, wo er nach einem Glas warmen
Wasser fragen sollte. Die Zunge löste sich leicht unter dem Wasser.
So waren
die Geschichten, die Ina erzählte. Sie musste sich bremsen, um nicht jeden
Abend zu Hause anzurufen oder eine Mail zu schicken. Beides war teuer vom Lager
aus, aber es war ihr bald egal. «Und wenn meine ganze Zulage draufgeht», sagte
sie zu Esther und Ina. Dem Kind gehe es gut, obwohl es seine Mami vermisse,
natürlich, das sei ja normal, sagte Ina. Sie hatten eine ideale Kita gefunden,
mit sehr netten Kindergärtnerinnen, dort war das Kind von acht bis um drei,
dann wurde es von Robert abgeholt. Robert hatte eine Halbtagsstelle bei einer
Graphikagentur, wo er seine Arbeit gerne, aber offenbar nicht besonders
ambitioniert machte. Ina war zur Bundeswehr gegangen, weil sie keine Lust
hatte, ewig auf einen Medizinstudienplatz zu warten. Sie bekamen das Kind, und
Robert war, in Inas Worten, ein wunderbarer Vater, wenn auch vielleicht nicht
der interessanteste Mann der Welt, aber er lecke gut, sagte
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