Kurbjuweit, Dirk
Pritsche. Die Transall der Luftwaffe
setzte hart auf, die Reifen quietschten, leichtes Schlingern. Esther bekam
einen heftigen Stoß in den Rücken. Sie saß an der Seitenwand des Flugzeugs in
einer langen Reihe mit anderen Soldaten. An der Wand gegenüber waren ebenfalls
Soldaten, in der Mitte stapelte sich das Gepäck auf einer Palette. Sie zogen
sich die grünen Stöpsel aus den Ohren, die Propeller dröhnten. Die Maschine
hatte nur kleine Bullaugen, so hoch angebracht, dass Esther nicht nach draußen
sehen konnte. Die Heckklappe fuhr herunter, und die Hitze traf sie im Gesicht,
als habe sie eine Ofenklappe geöffnet, um einen Braten zu prüfen. Sie war für
einen Moment irritiert, zögerte und wurde sofort angeschnauzt, sie solle den
Betrieb nicht aufhalten. Sie schämte sich, sie hatte so hart trainiert und sich
geistig auf einen Krieg in Afghanistan vorbereitet, obwohl von dort keine
Nachrichten kamen, die auf einen Krieg hindeuteten; aber sie wollte gewappnet
sein für den Fall, dass es doch einen gab, und alles richtig machen und sich
unbedingt bewähren, und jetzt das. Sie stolperte die Heckklappe herunter und
musste noch einmal zurück, weil sie ihren Helm vergessen hatte. Schweiß,
überall Schweiß. Sie wusste genau, welche Blicke in ihrem Rücken getauscht
wurden. Sie kannte dieses erleichterte Männergrinsen. Also doch, sagte das
Grinsen, es gibt also doch einen Unterschied, Krieg können die Mädels nicht.
Krieg können die Fotzen nicht. Eher so. Sie nahm ihren Helm und hätte ihn sich
am liebsten vor ihr Gesicht gehalten, damit niemand sehen konnte, wie rot sie
war. Als sie sich umdrehte, waren die Männer der Luftwaffe mit der
Gepäckpalette beschäftigt. Sie verließ das Flugzeug und eilte den anderen
hinterher zu einem Konvoi mit Dingos und Mungos.
Die
Soldaten saßen auf und wurden zum Lager gefahren. Esther sah das Wrack eines
Hubschraubers im Sand, auf einem Sockel thronte ein russischer Kampfjet, Spuren
eines anderen Krieges. Flaches Land, ein paar Gehöfte, Männer, die am
Straßenrand standen und dem Konvoi nachschauten, Staub, in der Ferne der Hindukusch,
mattbraun im Morgenlicht. Sie hatte so viel gehört von diesem Land, so viel
gelesen, aber das Einzige, was ihr jetzt einfiel, war das Allererste, was sie
über Afghanistan erfahren hatte. Sie war noch ein Kind gewesen, elf, zwölf
Jahre alt. Eine Zeitschrift lag auf dem Wohnzimmertisch, ihre Eltern waren
nicht da. Gelangweilt wendete sie die Seiten, bis sie ein Foto sah, das
verschwommen und aus der Ferne zwei Männer zeigte, deren Oberkörper aus dem
Wüstensand ragten. Sie waren offenbar dort eingegraben, und Esther dachte an
die Spiele am Ostseestrand, wenn sie sich gegenseitig einbuddelten, die Jungs
die Mädchen, die Mädchen die Jungs. Es war ein erotisches Spiel, Jungshände
auf Mädchenkörpern, Mädchenhände auf Jungskörpern, dazwischen der Sand, der
wunderbare Sand, der diese Berührungen statthaft machte. Abends waren Berge von
Sand in der Badewanne. Aber sie hatten sich im Liegen eingegraben, die beiden
Männer auf dem Foto waren aufrecht.»Gehäutete Hubschrauberpiloten» stand unter
dem Foto. Mit wachsendem Horror las sie den Artikel. Die Männer waren Russen,
deren Hubschrauber von afghanischen Widerstandskämpfern abgeschossen worden
waren. Man hatte sie zur Hälfte eingegraben und dann die Haut abgeschält.
Hitze, gegrillt, Fliegen, das waren Wörter, die Esther aus dem Artikel noch
erinnerte. Sie konnte nicht an Afghanistan denken, ohne dass ihr dieses Foto
einfiel, und als entschieden war, dass sie nach Afghanistan gehen würde, sah
sie sich manchmal selbst auf einem solchen Foto. Sie wollte sich eine
Vorstellung von dem Schmerz und Leid der Hubschrauberpiloten machen, um auf
alles vorbereitet zu sein, aber es gelang ihr nicht. Es gab keine Empfindung in
ihr, die dem nahe kommen konnte.
Nach zehn
Minuten sah sie die Mauer des Lagers, dahinter hohe Lichtmasten, oben
Stacheldraht, Türme an den Ecken. Ein Gefängnis sah nicht anders aus. Am Tor
standen große, mit Steinen und Sand gefüllte Tonnen, um Selbstmordattentäter
aufzuhalten. Die Schranke ging hoch, und Esther war da, wo sie für ein halbes
fahr bleiben sollte. Flache, hellgelbe Häuser, breite Straßen, dazwischen Sand.
Sie war enttäuscht, sie kannte das ja alles, nichts Neues, als wäre sie
hundertmal hier gewesen. So hatte sie es auch bei ihrer Reise nach Sardinien
erlebt, so war es jetzt immer. Man hatte alles schon gesehen, im Fernsehen,
auf Fotos, auf
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