Kurbjuweit, Dirk
entbehrungsreich genug. Berlin ist roh und
arm, und das Land wird längst von einem Oberst regiert, der Kommandeur in
Kunduz war, so wie in Israel ja auch immer nur Generäle regieren, so ist das in
Ländern, die aus ihren Kriegen nicht rauskommen. Versteht ihr, der Krieg wirkt
zurück. Wir denken jetzt noch, dass wir aus Afghanistan eine kleine Bundesrepublik
machen, mit schönen Wahlen und Menschenrechten und Frauenquote und alldem,
aber in Wahrheit, das zeigt der Film, kommt Afghanistan zu uns. Wir werden ein
Land der Obristen.»
«Und die
Geschichte, was ist die Geschichte?», fragte Greta.
«Einer der
Soldaten nimmt den Kampf gegen den korrupten Oberst auf, ein Major, der gerade
nach Kunduz gekommen ist. Da brauchen wir ein aristokratisches Gesicht,
vielleicht August Diehl, aber wenn wir es international machen wollen, dann
besser Leonardo diCaprio. Mit dem kriegen wir auch die Amerikaner. Wenn die
Amerikaner überhaupt irgendwas interessiert an Deutschland, dann sind es
deutsche Soldaten, aber nicht die Bundeswehrflaschen, die wir jetzt haben,
sondern richtige deutsche Soldaten.» Er hielt inne.
«Entschuldige,
Esther, ich meine die Männer.»
«Schon
gut.»
«Und der
Major, klar, verliebt sich in ein Mädchen, in eine der Nomadinnen, die vor der
Stadt hausen.»
«Trägt sie
eine Burka?», fragte Greta.
«Da habe
ich lange drüber nachgedacht. Es hat seinen Reiz, ist aber schwierig zu machen.
Ohne Gesicht ist es kaum möglich, eine Liebesgeschichte zu erzählen. Es kommt
sehr auf die Burka an, da fragen wir Gucci, die sollen uns eine Burka machen,
die richtig sexy ist, eng anliegend, schöne Taille und so.»
Er machte
eine Bewegung mit den Händen.
«Besser
Stella McCartney», sagte Greta.
«Okay,
Stella McCartney macht die Burka. Dann brauchen wir eine Schauspielerin, die
anmutig gehen kann, nicht so ein deutsches Trampeltier. Die finden wir
ebenfalls in Marokko, da sind die Frauen noch anmutig.»
Greta sah
Esther an und rollte mit den Augen. «In Marokko drehen wir auch, den Prinzen
kann ich dafür leicht begeistern, der liebt deutsche Soldaten.»
«Der liebt
die Bundeswehr?», fragte Esther. «Die Wehrmacht. Der beste Moment ist
natürlich, wenn sie zum ersten Mal die Burka auszieht. Wir sehen einen Engel,
die muss aussehen wie ein Engel.»
«Und wie
geht der Film aus?», fragte Esther.
«Ich weiß
nicht. Was meint ihr?»
Schweigen.
Esther dachte fieberhaft nach.
«Der Major
besiegt erst den Oberst in Kunduz», sagte Greta, «dann den Oberst in Berlin, er
wird Bundeskanzler und holt die Soldaten nach Deutschland zurück.»
«Die
Taliban erobern Kunduz», sagte Esther, «die Stadt wird verwüstet, und nur der
Major und die Nomadin entkommen.»
«Das ist
besser», sagte Greta. «Die Nomadin wird auf der Flucht angeschossen und stirbt
in seinen Armen.»
«Vorher
konvertiert sie zum Christentum», sagte Esther.
Sie
diskutierten das eine Weile, bis Thilo meinte, er werde sofort ein Drehbuch in
Auftrag geben. Er stand auf, ging mit seinem Handy in den Garten und machte ein
paar Anrufe.
Diese
Geschichte trug sie lange mit sich rum, schrieb sie weiter im Kopf, verliebte
sich in den Major, den sie so erfand, dass er ihren Wünschen entsprach. Das
alles half ihr, die langweiligen Stunden zu überstehen, die Stunden des
Wartens, der nur vorgetäuschten Tätigkeit, der Zweifel, ob sie richtig war bei
der Armee, deren Computer sie bediente. Major Klimmt, so nannte sie ihn, wurde
ihr Gefährte, ihr, dachte sie manchmal, dritter Mann nach Jasper und Thilo, der
nach diesem Wochenende ihr Freund wurde, ihr guter Freund. Sex spielte keine
Rolle mehr zwischen ihnen, Sex hatte Esther mit Männern, die sie in Bars oder
im Urlaub ansprachen und die sich in sie verliebten, was sie genoss; aber sie
hatte auch eine gewisse Kälte darin entwickelt, sie nach wenigen Wochen zu
verstoßen.
Sie fühlte
sich wie das erwachsene Kind von Greta und Thilo, und in einer dunklen Stunde
dachte sie darüber nach, ob das sein Auftrag gewesen war, sie zu rekrutieren
als die Tochter, die Greta und er altersmäßig nicht haben konnten. Aber das war
natürlich Spinnerei, wie sie sich bei besserer Laune sagen konnte. Und wenn es
keine Spinnerei war, konnte es ihr jetzt egal sein.
AFGHANISTAN, FRÜHLING 2006
Als Esther
auf dem Flughafen von Kunduz im Norden Afghanistans landete, trug sie eine
helle Flecktarnuniform und eine Schutzweste. Ihr Gewehr hatte sie zwischen
die Knie geklemmt, ihr Helm lag unter der
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