Kurbjuweit, Dirk
weiß, gelb, aus dem rote und grüne Blitze
zuckten. «Schön», sagte sie. Maxi sah glücklich aus.
«Wann bist
du endlich fertig?», fragte Ina, als Maxi den sechsten Abend nacheinander an
der Burka gestickt hatte. «Bald.»
«Was
machst du dann mit dem Ding?» Keine Antwort.
«Nach
Kunduz gehen und hoffen, dass dich ein Muselman heiratet?»
«Lass
sie», sagte Esther. «Was meint ihr, wie die Sex haben?»
«Weiß
nicht», sagte Esther. «So wie du», sagte Maxi. «Blümchensex?»
«Du magst
Blümchensex?», fragte Esther.
«Ich mag
Blümchensex.» Ina stand auf, machte Musik und tanzte. Sie hörten gerne «Plastic
Stress» von Terranova, vor allem wegen der Zeile «Love in the middle of the
fire fight». Esther sang leise mit, während Ina sich beim Tanz langsam auszog,
bis sie nur noch einen Slip anhatte. Schweiß lief ihren Körper hinunter. Sie
hörten das Lied ungefähr zehnmal. Zuletzt sang Esther laut mit, und Maxi sang
auch, ohne die Arbeit an der Burka zu unterbrechen.
Esther
hatte sich an Tauber gewöhnt. Sie mochte es inzwischen sogar, mit ihm durch
diese unfreundliche Landschaft zu schaukeln. Es war eine Landschaft, die alles
verschlucken konnte, auch die Erinnerung daran, dass es andere Landschaften
gab, andere Welten. Tauber hielt diese Erinnerung aufrecht, sein Geplapper
wurde zur Heimatmelodie, ohne dass sie Heimweh haben musste. Fußball, Autos,
sein Kind, das Häuschen, die Gattin. Er hatte sich für Afghanistan gemeldet,
weil er die Zulage brauchte, um einen Wintergarten bauen zu können. Im
Wintergarten sitzen, Bierchen trinken, auf die Felder schauen, so redete er
dahin, aber nicht endlos, weil Reden auf Dauer zu anstrengend war bei dem
Gedröhne des Motors. Er schaffte genau die Menge, die Esther angenehm war, die
sie brauchte, um nicht aufgesaugt zu werden von der sandigen Weite, dem Geröll,
den Bergen. Und er behandelte sie zuvorkommend, aber nicht mit dieser verschmockt
oder übertrieben wirkenden Galanterie, die ihr - wie die plumpe Anmache - wohlbekannt
war, seitdem sie sich bei der Bundeswehr verpflichtet hatte. Er war auch nicht
einer von denen, die wenig wussten, aber viel erklärten, was eine männliche
Spezialität war, fand Esther. Sie mochte seine Größe und Breite, das half, sich
in dieser Landschaft nicht ganz verloren zu fühlen. Sein Schnurrbart sorgte dafür,
dass man diese Stattlichkeit nicht allzu ernst nehmen musste. In seinen
Erzählungen wirkte Tauber grober als in seinem Verhalten ihr gegenüber. Er
lachte laut und dreckig, und das gefiel ihr, weil alle Menschen, denen sie auf
dem Weg zur Schule begegneten, nichts zeigten von sich, verschlossene
Gesichter, undurchdringlich, Wände aus Haut.
Etwas war
anders geworden an diesen Fahrten, seitdem der Schnellkochtopf am Wegesrand
gestanden hatte. Bis dahin hatte sie kaum über IEDs nachgedacht, mit Ausnahme
der Angstattacke, die ihrer Erzählung von dem Wal gefolgt war. Ein neues Gefühl
begleitete sie, Esther wollte es nicht Angst nennen, auch wenn sie wusste, dass
es aus dem Großraum Angst kam, eine leichte Beunruhigung, eine Anspannung. Sie
schaute weniger zum Himmel, mehr auf die Straße. Sie hatte tausendmal darüber
nachgedacht, was ihr dieser Kochtopf sagen sollte. Hatte ihn jemand vergessen?
Oder war es eine Warnung? Vergessen hatte Maxi ja ausgeschlossen. Also eine
Warnung. Weil sie nicht zu dieser Schule fahren sollte, wo Mädchen unterrichtet
wurden? Das musste es sein, sie fand keine andere Erklärung. Aber das hieß dann
auch, dass sie weiter bedroht waren. Was für ein Satz. Zum ersten Mal hatte
sie einen Satz wie diesen gedacht. Zum ersten Mal fühlte sich das hier nach
Krieg an. Sie war zunächst ein bisschen euphorisch, wofür sie sich dann
schämte. Hatte sie sich etwa einen richtigen Krieg gewünscht? Nein. Aber sie
fing an, über die Gefahren nachzudenken, auch über den Tod. Thilo hatte ihr
einmal gesagt, dass er den Tod nicht fürchte, weil sein Leben die Todesangst
längst besiegt habe. Was das heiße, wollte sie wissen. Er habe schon so viel
erlebt, dass es auch ein neunzigjähriges Leben gut gefüllt hätte,- er sei, so
Thilo weiter, praktisch im Zustand eines Neunzigjährigen, für den der Tod
nicht so schlimm sei, weil Neunzigjährige nun einmal sterben müssten, das sei
normal und deshalb gut erträglich. Esther hatte schon damals gedacht, dass sie
das nicht sagen könne. Sie hatte wenig erlebt. Zwar war inzwischen einiges
hinzugekommen, aber das reichte nicht für neunzig Jahre,
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