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Kurbjuweit, Dirk

Kurbjuweit, Dirk

Titel: Kurbjuweit, Dirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kriegsbraut
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abgerissen, sonst wäre es ja nicht hier.»
    «Bevor die
Schule begonnen hat?»
    «Bevor die
Schule begonnen hat.»
    «Wie
konnten es dann alle lesen?»
    «Die
Verfasser haben offensichtlich Zugang zu einem Kopierer. So modern sind sie
dann doch.»
    «Wo waren
die Kopien?»
    «An der
Moschee. An den Türen mancher Privathäuser. An dem Baum, in den vor dreißig
Jahren der Blitz eingeschlagen hat.»
    «Sind die
Mädchen gekommen?»
    «Ein paar
Mädchen sind gekommen. Die aus den entlegenen Dörfern. Deren Väter haben
nichts mitgekriegt. Zwei Väter aus dem Dorf hier haben ihre Töchter geschickt,
obwohl sie die Drohung gesehen haben. Drei Viertel der Mädchen fehlen.»
    «Was
machen wir jetzt?»
    «Das frage
ich Sie.»
    «Warum
mich?»
    «Wenn ich
das richtig verstanden habe, sollen die deutschen Soldaten doch sicherstellen,
dass die Mädchen in die Schule gehen können. Ist es nicht so?»
    Sie
schluckte. Sie ärgerte sich, dass sie sich so hatte überraschen lassen von ihm.
«Auch deshalb sind wir hier, ja.»
    «Sehen
Sie. Die Mädchen sind nicht da, und was machen Sie jetzt? Das wäre meine
Frage.»
    «Wer hat
den Brief geschrieben?»
    «Ungehobelte
Kerle, wenig Bildung, soviel steht fest. Mehr weiß ich nicht.»
    «Taliban?»
    «Möglich.»
    «Gibt es
hier Taliban?»
    «Wer ist
ein Taliban? Sie tragen keine Uniform, sie haben keinen Parteiausweis, es ist
schwer, sie zu erkennen.»
    «Sie sind
bewaffnet.»
    «Bewaffnet
ist hier jeder.»
    Sie ging
zum Fenster und sah hinaus, das Gewehr diesmal nicht lässig in einer Hand,
sondern in beiden Händen. Das Dorf lag still auf dem Hügel. Die Tore der Höfe
waren verschlossen, niemand zeigte sich. In dem Verschlag, der eine
Autowerkstatt war, schlief der Besitzer auf einer Matratze, sein Gehilfe saß im
Schatten und kratzte sich den rechten Arm mit der linken Hand, ausdauernd,
endlos. Die deutschen Soldaten schauten ein Video. «Wir müssen die Mädchen zur
Schule bringen», sagte sie.
    «Was
wollen Sie den Eltern sagen?»
    «Dass sie
keine Angst haben müssen vor den Taliban.»
    «Müssen
sie nicht?»
    «Wir sind
hier, um sie zu beschützen.»
    «Sie haben
keine Angst vor den Taliban?»
    «Nein.»
Feste Stimme, harter Blick in die Augen des Schuldirektors. In Wahrheit war sie
ratlos. Sie wusste absolut nicht, was sie tun sollte. Sie waren nur vier Soldaten,
weit weg vom Lager. Verstärkung anfordern? Mit zwei Zügen das Dorf durchkämmen?
Einen Hubschrauber herdirigieren? Das konnte alles nur lächerlich wirken. Sie
setzte sich auf den Boden unterhalb des Fensters und lehnte den Rücken gegen
die Wand. Sie schwitzte, das Gewehr lag vor ihrem Bauch. «Wir gehen jetzt zu
den Häusern und holen die Mädchen.»
    «Ich kann
Ihnen sagen, wie die Väter reagieren werden: Die einen sagen nichts, sie
machen nicht einmal auf. Die anderen sagen: Gut, jetzt beschützen Sie uns, aber
um zwei Uhr verschwinden Sie wieder, weil Sie an jedem Tag um zwei Uhr
verschwinden. Es gibt eine große Staubfahne, und Sie sind weg, ganz und gar
weg, und dann kommt die Nacht, und die Nacht gehört denen, die sich am Tag
nicht zeigen. Die haben dann die ganze Macht. Was antworten Sie darauf?»
    «Dass wir
alle bestrafen werden, die verhindern wollen, dass Mädchen in die Schule
gehen.»
    Er lachte
leise. «Alle. Ja. Sie werden alle bestrafen. Und immer. Immer auch, nehme ich
an. Sie wollen doch gar nicht hierbleiben. Die Deutschen wollen doch, dass die
Soldaten nach Hause kommen. Und wer bestraft dann die Leute, die verhindern,
dass Mädchen in die Schule gehen?»
    Sie sagte
nichts. Es gab nichts zu sagen. «Bei uns sagt man: Ist der Hund nur einen Tag
Mensch, ist er nie mehr ein glücklicher Hund.»
    «Was heißt
das?»
    «Denken
Sie darüber nach.»
    «Ich weiß,
was das heißt. Man hätte die Mädchen besser erst gar nicht in die Schule
geschickt. Dann würden sie nichts vermissen, wenn man es ihnen wieder verbietet.
Wir holen sie jetzt.»
    Der
Schuldirektor saß reglos hinter seinem Schreibtisch.
    «Bitte.»
    «Gut, ich
gehe, aber nicht mit Ihnen.»
    «Warum
nicht mit mir?»
    «Weil es
sie nicht überzeugen wird, wenn sie sehen, dass sie unter dem Schutz einer Frau
stehen.»
    Esther zog
keine Schnute, sie hatte ein paar Dinge gelernt hier. «Tauber geht mit», sagte
sie.
    Sie gingen
hinunter zu den Geländewagen. Esther sprach mit Tauber, dann mit einem der
Infanteristen, der die Nahsicherung machen sollte.
    Tauber
stieg mit dem Schuldirektor und dem Infanteristen den Pfad hinauf zum Dorf.
Esther

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