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Kurbjuweit, Dirk

Kurbjuweit, Dirk

Titel: Kurbjuweit, Dirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kriegsbraut
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renovierten Katen waren in der Saison bald alle
vermietet, manche dauerhaft. Mein Vater streifte durch die Wälder und saß
Stunden über Stunden auf dem Hochsitz, ohne etwas zu schießen. Der Baron hatte
ihm lebenslanges Jagdrecht eingeräumt, genauso lebenslanges Wohnrecht, das
später in eine Erbpacht umgewandelt wurde. Die Kate gehört praktisch meinen
Eltern, aber sie haben nicht das Geld, sie zu renovieren.
    Als ich
siebzehn war, machte mir die Baronin ein Angebot. Ich könne bei den
Kammerkonzerten, die regelmäßig im Gutshaus gegeben wurden, Karten abreißen
und beim Empfang Getränke reichen, gegen Lohn natürlich. Ich wollte das
machen. Mein Vater nannte mich eine Verräterin, er holte noch einmal den Brief
hervor, der ihm das Recht einräumte, für alle Zeiten kostenlos die neu
angelegten Tennisplätze zu benutzen. Nichts hatte ihn mehr verletzt, mehr
gedemütigt. Ob er sich jetzt etwa weiße Socken, weiße Shorts und ein weißes
Hemd kaufen solle, dazu einen Schläger, fragte er damals mit brüchiger Stimme.
Wir waren alle empört. Das war doch nur nett gemeint, schrie ich meinen Vater
an, als er den Brief wieder hervorgekramt hatte. Das war Herrenmenschentum,
schrie er zurück.
    Haben Sie
eine Tochter?», fragte sie den Schuldirektor.
    Er hob
diesmal nicht den Kopf, sein Blick ruhte bereits auf ihr. «Ja.»
    «Wie alt
ist sie?»
    «Fünfzehn.»
Er hatte kurz gezögert bei der Antwort.
    «Ist sie
hier?»
    Er
schüttelte den Kopf, und sein Blick tauchte wieder in die Kladde.
    «Am Morgen
danach stand wie immer das Frühstück auf dem Tisch. Mein Vater war dafür
zuständig, seitdem er nicht mehr arbeitete. Drei Teller, drei Tassen, Toast,
schwach getoastet, so wie ich es mochte, zwei Sorten Käse, Honig, Marmelade,
Sechs-Minuten-Eier. Niemand redete. Das Schlimme war, dass ich meinen Vater
nicht mehr geachtet habe, schon vorher nicht. Mein Vater war der König der
Siedlung gewesen, der gute, strenge König, aber dann verlor er sein Königreich,
und das Leben in der neuen Welt hat er nicht mehr gelernt. Bei der Wende war
ich zehn fahre alt und bin problemlos in die neue Gesellschaft
hineingewachsen, ich beherrschte bald deren Regeln und wusste, was notwendig
war, um den Alltag zu meistern. Meinem Vater gelang es nicht mehr, sich an
Automaten und Computer zu gewöhnen, meiner Mutter höchstens halbwegs, aber die
hat ihre Fische. Mein Vater muss jetzt Swimmingpools verkaufen.»
    «Was sagt
Ihr Vater dazu, dass Sie Soldatin sind?»
    Die erste
Frage. Sie versuchte, nicht zu lächeln. «Mein Vater ist nicht begeistert»,
sagte sie, «aber er findet es in Ordnung.» Das war nicht die Wahrheit, doch
etwas anderes konnte sie hier nicht sagen, fand Esther.
     
    Am Abend
sagte sie Ina und Maxi, dass der Schuldirektor ihr gefalle.
    «Oh, oh»,
sagte Ina.
    Esther
warf ein Kissen nach ihr.
    «Ich habe
eine Überraschung für euch», sagte Maxi.
    «Was
denn?»
    Sie ging
zu ihrem Rucksack, nestelte daran herum und zog ein schweres blaues Tuch
hervor. Als sie es ausbreitete, sah Esther, dass es eine Burka war. Sie stand
auf und ging zu Maxis Bett, wo nun die Burka lag.
    «Spinnst
du?», sagte Ina.
    «Was
willst du damit?», fragte Esther.
    Maxi nahm
die Burka und hielt sie sich vor den Körper.
    «Zieh mal
an», sagte Ina.
    Maxi zog
ihr Hemd und die Uniformhose aus und streifte die Burka über. Sie war nicht
mehr Maxi, sie war eine blaue Stoffsäule. Esther und Ina froren ebenfalls ein,
plötzlich war keine Bewegung mehr im Raum, keine Regung. Sie starrten die Säule
an, beklommen, wie von einem dunklen Zauber gebannt. Maxi riss die Arme hoch
und rief: «Buh!» Niemand lachte. Ihre Stimme klang dumpf. Sie machte ein paar
Schritte, kramte ihren Handspiegel hervor und sah sich lange an. Esther fasste
die Burka an, fester, rauer Stoff. «Lass mich auch mal», sagte sie.
    Maxi zog
die Burka aus, reichte sie weiter. Esther tauchte in die Dunkelheit, nestelte
die Arme in die Armlöcher, stieß ihren Kopf durch die Öffnung in der Mitte,
kam danach aber nicht wie gewohnt an im Licht, sondern blieb in einer Höhle.
Sie schaute durch das Stoffgitter vor ihren Augen und sah ein grob gerastertes
Gesicht. Das war Ina, die direkt vor ihr stand. Wenig Luft zum Atmen, muffiger
Geruch. Der Stoff hing schwer auf ihren Schultern. Sie machte ein paar
Schritte, zaghaft, weil sie sich nicht sicher war, ob sie die Entfernungen
richtig einschätzte. Sie wollte raus hier und streifte die Burka hastig ab,
legte sie wieder aufs Bett. Esther, Ina

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