Kurbjuweit, Dirk
kurz
den Gedankenkokon, in den sie gewickelt war. Er kühlte nicht, aber er machte
unempfindlich gegen die Außenwelt. Ihr war jetzt unangenehm, dass sie den
Gedanken zugelassen hatte, die Affäre mit Mehsud, wenn es schon eine war,
solle ihr Genugtuung gegenüber diesen Männern verschaffen. Das wäre
entsetzlich, wenn ein Gefühl, das in den letzten Wochen groß geworden war,
sich bloß als Reaktion auf ihr Leben hier entpuppte. So war es ja auch nicht.
Aber was war es dann? Sie konnte sich sagen, dass er gut aussah, dass diese
griechisch-klassische Strenge seiner Gesichtszüge ihn elegant wirken ließ. Er
war klug, er war interessant, weil er nicht nur ein Leben hatte, sondern ein
Schicksal. Er war nicht zudringlich, nicht dominant. Er war nicht banal.
Dennoch, das konnte alles nur ein Teil der Erklärung sein. Solche Leute gab es
auch im Lager, wenn man mal von der griechischklassischen Strenge absah,
Ritter von Erpp zum Beispiel, dem Ina ja wohl nähergekommen war. Früher wäre
Esther da vielleicht eifersüchtig gewesen.
Wie konnte
sie die Fremdheit, die sie immer stärker spürte, überwinden? Diese Fremdheit
zwischen ihr und Mehsud, die ihr Sorgen machte und sie einmal, in einer dieser
vielen, vielen Gedankenschleifen, beinahe abstieß. Da wollte sie auf keinen
Fall wissen, was in seinem Kopf wirklich vorging, sie wollte nicht einmal
wissen, wie er unter seiner seltsamen Kleidung aussah. Gänsehaut. War das Ekel?
Nein, Hitzefieber, sagte sie sich vorwurfsvoll wegen dieses bösen Wortes.
Vielleicht auch Angstgänsehaut. Mehsud war ja nicht nur Mehsud für sie, sondern
er war dieses ganze Land, diese fürchterlich nackten Berge, die hermetischen
Dörfer, die grimmigen Männer und unsichtbaren Frauen, die Taliban, der so
merkwürdig leise Krieg. Mehsud war Afghanistan, während ein geliebter
Deutscher nicht Deutschland war. Das war der Unterschied, ein großer. Ein
Italiener, der auch Italien war, ging ja noch. Aber Afghanistan? Sich
Afghanistan ins Herz holen?
Hatte sie
«geliebt» gedacht? Hatte sie. Deutete «geliebt» auf bloßes «Verliebtsein» oder
auf «Liebe»? Wohl eher auf «Liebe», dachte sie, brach hier aber ab und korrigierte
sich: während ein Deutscher, in den man verliebt war, nicht Deutschland war.
Fremdheit.
Von da war es nicht weit bis Unmöglichkeit. Das Wort sprengte ihren Kokon. Sie
spürte die Hitze in ihrer ganzen Brutalität, der Schweiß floss aus allen Poren,
sie hatte einen See im Rücken, einen See im Schoß. Sie sprang auf, murmelte
eine Entschuldigung und lief zum Waschraum. Sie riss sich die Uniform vom Leib
und stellte sich unter den kalten Strahl. So richtig kalt war er allerdings
nicht, eher lauwarm. Hier funktionierte wohl gar nichts mehr. Etwas Linderung
verschaffte es aber doch. Und ihr fiel das Richtige ein: Das Problem der Liebe
zu einem Deutschen war, dass alle mehr oder weniger auf die gleiche Art
liebten. In Berlin, in der Zeit mit Thilo, hatte sie sich traurig gefühlt, als
sie an einer Ampel stand und ein Taxi sah, in dem sich ein Paar
leidenschaftlich küsste. Wie konnte das sein?
Wie konnte
es ein Paar geben, das sich in seiner Liebe genau so verhielt wie Thilo und
sie? Das die gleiche Leidenschaft entwickelte oder, o Gott, eine noch größere?
Womöglich drehten sie Runden für zweihundert Euro, für dreihundert, für
fünfhundert, ließen sich nach Wien chauffieren, nach Barcelona. Eifersucht, sie
empfand immer Eifersucht, wenn sie die Innigkeit anderer sah, und zwar nur,
wenn sie selbst innig liebte. Sonst war es ihr egal.
Es war
also unmöglich, eine Liebe mit einem Deutschen als einmalig zu empfinden,
dachte sie. Aber große Liebe hatte doch den Anspruch, einmalig zu sein, musste
diesen Anspruch haben. Und man scheiterte jedes Mal, weil diese Einmaligkeit
einfach nicht zur Verfügung stand. Mit Mehsud war das anders. Deutsche Soldatin
küsst afghanischen Lehrer heimlich in einem afghanischen Schulgebäude. Hier
war Einmaligkeit erreicht, da war sie sich sicher.
Hatte sie
jetzt die ganze Zeit in der Kategorie «Liebe» gedacht? Hatte sie. Dann war es
eben so. Sie drehte das Wasser aus und verließ lächelnd die Dusche.
Am Abend
war es in den Stuben kaum kühler als am Tag. Die Soldaten hielten sich draußen
auf und warteten auf eine Brise wie Segler auf dem Meer. Es kam nichts, Flaute,
Stillstand, Agonie. Esther sah eine Schlägerei, deren Beginn sie nicht
mitbekommen hatte, Feldjäger führten zwei Soldaten ab. Auch die Schläger
galten als
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