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Kurbjuweit, Dirk

Kurbjuweit, Dirk

Titel: Kurbjuweit, Dirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kriegsbraut
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Gegenfrage, einen schönen Satz.
    «Natürlich»,
sagte er, «kann sie das machen. Aber macht sie es deshalb - oder weil sie sonst
fürchtet, nicht erotisch zu wirken, mit ihrem puren Körper nicht anzukommen
gegen die Bilder, die bei euch jeder jederzeit sehen kann oder sogar sehen
muss? Ich gebe zu, dass eine Burka nicht erotisch wirkt, aber dafür lässt eine
Gesellschaft, die alles verbirgt, der Erotik den ganz großen Auftritt, wenn
wirklich die Zeit dafür ist.»
    Nach
diesem Gespräch war sie verwirrt zurück zum Lager gefahren. Sein letztes
Argument war so schlecht nicht gewesen, trotzdem blieb die Burka inakzeptabel.
Wo stand Mehsud nun? War er gegen die Burka oder dafür? Sie hatte gegrübelt,
war nicht dahintergekommen. Und über Küsse hatten sie nicht geredet, damit auch
nicht über den ersten Kuss, und das fehlte ihr jetzt, da es nur noch eine
Viertelstunde dauern würde, bis sie die Schule erreicht hatten. Die Straße
wurde schlechter, Ziegen an den Hängen, ein Hund auf drei Beinen, ein abgeschossener
Hubschrauber, halb versandet. Regeln gab es nicht, sie musste es einfach tun,
oder eben nicht. Diese Möglichkeit gab es ja auch.
    Sie kamen
an, sie wusch ihr Gesicht, entstaubte und ordnete ihr Haar und ging hoch ins
Direktorenzimmer. Er stand am Fenster. Sie setzte sich, legte das Gewehr auf
ihre Beine und wollte etwas sagen, brachte aber kein Wort heraus. Ihre Lippen
waren wie vernäht. Nach einer Weile berichtete Mehsud von den kleinen
Ereignissen in der Schule, ein Geburtstag, ein Streit zwischen Jungs, der mit
Fäusten ausgetragen wurde. Er verstummte, Hitze und Stille wurden zur Folter.
Sie konnte nichts sagen.
    «Darf ich
dich etwas fragen?», fragte er.
    Sie fuhr
hoch aus der dumpfen Niedergeschlagenheit, die sie übermannt hatte. «Ja.»
    «Eigentlich
möchte ich dich um etwas bitten. Darf ich das auch?»
    «Auch
das.» Hoffnung, sie hoffte so.
    «Würdest
du mit mir tanzen?»
    «Tanzen?»
    «Ich meine
richtig tanzen, klassisch tanzen, Walzer, Slowfox.»
    «Wegen
deiner Frau? Willst du deshalb mit mir tanzen?» Neue Niedergeschlagenheit, sie
wollte einen Kuss, jetzt sollte sie tanzen, damit er Erinnerungen an seine Frau
aufleben lassen konnte.
    «Ich will
einfach tanzen», sagte er.
    «Mit den
Stiefeln geht es, glaube ich, nicht.»
    «Es könnte
gehen.»
    «Wir haben
keine Musik.»
    «Man hat
immer Musik, sie ist einfach da.»
    «Ich weiß
nicht.» Sie hatte tanzen gelernt, in einer Tanzschule in Stralsund, mehr eine
Gelegenheit, Jungs zu treffen als Interesse am Tanz. Ein Jahr ging sie hin, danach
gab es einen Ball, auf dem sie das Gelernte mühsam abrief. Eleganz gelang ihr
nie. So viel schlimmer konnten es die Stiefel auch nicht machen. «Es ist
gefährlich», sagte sie, «wenn jemand reinkommt.»
    «Bitte»,
sagte er.
    Sie stand
auf, lehnte das Gewehr gegen die Wand. Als sie zu ihm ging, hörte sie das
Gewehr rutschen, dann auf den Boden schlagen. Sie machte kehrt, hob das Gewehr
auf und stellte es in die Ecke, wo es mehr Halt hatte. Sie richtete den Lauf
fein aus, bis es wirklich stabil stand, dann ging sie wieder zu Mehsud.
    Sie
standen sich steif gegenüber, er lächelte verlegen, sie sah zu Boden. Sie
wartete, dass etwas passierte, aber es passierte nichts.
    «Möchtest
du nicht die Schutzweste ausziehen?», hörte sie ihn fragen.
    Gott, ja,
die Schutzweste, wie sollte man in einer Schutzweste Walzer tanzen, so lange
Arme hat ja kein Mann. Sie zog die Schutzweste aus und stellte sie neben das
Gewehr an die Wand, wo sie gleich zusammensackte wie ein Betrunkener. Fünfzehn
Kilo leichter ging sie zurück zu Mehsud, stellte sich wieder vor ihn, wartete.
Sie spürte seine Hand zwischen ihren Schulterblättern und hob mechanisch den
rechten Arm, als habe er dort einen Knopf gedrückt. Seine Hand fand ihre. Die
andere Hand legte sie auf seine Hüfte.
    «Slowfox»,
sagte er.
    Sie setzte
ihren linken Fuß nach hinten, der rechte Fuß folgte. Sie drehten einige Runden.
Der Boden war glatt verputzt, deshalb ging es einigermaßen mit den Stiefeln,
gleichwohl kam sie sich plump vor, aber Mehsud führte sie gewandt und fest,
sodass dies wirklich ein Tanz war und nicht nur ein Schleichen. Die beiden
Ventilatoren surrten, die Stiefelsohlen quietschten leicht; das machte sie
nervös, obwohl es unwahrscheinlich war, dass die Jungs draußen etwas hören
würden. Der Walzer danach gelang ihnen überraschend gut, mit jeder Drehung
wurde ihr die Sache vertrauter, und in ihrem Kopf entwickelte sich

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