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Kurbjuweit, Dirk

Kurbjuweit, Dirk

Titel: Kurbjuweit, Dirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kriegsbraut
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allmählich
das Bild, das sie gebraucht hatte, um einen Kuss zu wagen. Tanzen und Küssen
hatten in der Tanzschule mehr oder weniger zusammengehört, und die Erinnerung
machte in ihr eine kleine Backfischigkeit frei, aber auch Mut. Als Mehsud den
Walzer beendet hatte, küsste sie seine Lippen, er erwiderte ihren Kuss, und es
war ganz leicht.
     
    «Es gibt
da einen», sagte sie abends zu Maxi und Ina. «Einen was?»
    «Weißt du
doch.»
    «Nö.»
    «Na, einen
Mann, sie will mit uns über einen Mann reden.»
    «Huch, ein
Mann.»
    «Sei nicht
doof.»
    «Ich bin
nicht doof. Wer?»
    «Einer von
hier.»
    «Kann ja
nur einer von hier sein, oder warst du mal kurz in Berlin?»
    «Wie klug
du bist.»
    «Major
Ritter von Erpp?»
    «Nicht
hier aus dem Lager.»
    «Faizabad?
War jemand aus dem Lager Faizabad hier?»
    «Oder
wieder ein Amerikaner?»
    «Ein Afghane.»
Stille.
    Sie wollte
aufstehen und hinausrennen.
    «Ein
Dolmetscher?»
    «Nein.»
    «Einer aus
der Wäscherei?»
    «Spinnst
du?»
    «Der
Lehrer?»
    «Der
Lehrer.»
    «Hast du
mit dem?»
    «Wir haben
uns geküsst.»
    «Warum?»
    «Warum wir
uns geküsst haben?»
    «Warum du
gerade den küssen musstest.»
    «Frage ich
mich auch.»
    «Du weißt
es nicht?»
    «Ich habe
ihn geküsst, weil ich mich in ihn verliebt habe.»
    «Oh,
Liebe.»
    «Du bist
wahnsinnig.»
    «Die
schicken dich nach Hause, und du wirst unehrenhaft entlassen.»
    «Die
knüpfen dich an einen Laternenpfahl.»
    «Wie küsst
er?»
    «Normal.»
    «Schade.»
    «Warum
schade?»
    «Wäre doch
schön, wenn es mal ganz anders wäre.»
    «Anders
als mit Major Ritter von Erpp?»
    «Zum
Beispiel.»
    «Mehsud
ist anders, vollkommen anders. Er hat zum Beispiel nie gesagt, dass er einen
Cayenne in Mattschwarz super findet.»
    «Findet er
nicht?»
    «Er redet
nicht über solche Dinge.»
    «Du liebst
ihn, weil er anders ist?»
    «Ich bin
verliebt, habe ich gesagt.»
    «Ja, und?»
    «Verliebt
ist nicht Liebe.»
    «Nicht?»
    «Verliebt
ist ein schönes Gefühl in einem Leben, Liebe ist das ganze Leben.»
    «Kapier
ich nicht.»
    «Wenn du
liebst, machst du nichts mehr ohne das Gefühl der Liebe.»
    «Auch
nicht Zähne putzen?»
    «Nichts.»
    «Sie hat
recht.»
    «Stimmt.»
    Esther
erzählte ihnen die ganze Geschichte, aber mit jedem Wort wuchs ihre Distanz zum
Erzählten, weil sie es selbst nicht mehr begreifen konnte; sie berichtete, als
wäre es die Geschichte einer anderen, der sie bei ihrem Tun zugeschaut hatte,
ohne ihr in Kopf und Herz blicken zu können. Am Ende bekam sie Ratschläge, Mahnungen
wegen der möglichen Folgen. Weitermachen, aber vorsichtig sein. Als Stille
einkehrte und Esther wach auf ihrem Bett lag, dachte sie, dass Ina sie bestärkt
hatte, weil Ina in dieser Affäre auch eine Rache an den Männern im Lager sah.
Esther war zunächst ein bisschen angefasst, weil Ina sie damit in ein
gefährliches Unternehmen schickte, bei dem es vor allem um Genugtuung für Ina
gehen sollte. Doch dann fragte sie sich, ob es nicht auch ein Grund für sie
war, sich auf Mehsud einzulassen. Sie hatte letzten Endes nichts Böses erlebt
mit den Männern hier, aber es gab etwas, das sie in einem Gespräch mit Ina und
Maxi die Illusion der Verfügbarkeit genannt hatte, und dieses Phänomen ärgerte
sie. Man wurde hier von vielen, auch von den Dicksten und Unansehlichsten, so
angezwinkert, ancharmiert und insgesamt behandelt, als ob man sich einig sei,
vögeln zu wollen, und nur eheliche Treue, berufliche Umstände, Hitze, Raketenbeschuss
oder sonst was verhindern würden, dass man im Bett landete. Auch Ina ärgerte
das, und weil sie aus der Illusion der Verfügbarkeit mehrere Male Realität werden
ließ, ärgerte es sie noch mehr. Weil sie mit einigen schlief, war sie mehr als
Esther der Einschätzung ausgesetzt, dass sie mit allen schlafen würde. Was ihr
fernlag. Und nichts, das wussten beide, würde diese Männer mehr verstören, als
wenn eine der Frauen, die sie in ihren Gedanken unablässig haben konnten - von
manchen Blicken kam man sich geradezu bewichst vor -, als wenn eine dieser
Frauen auch für die anderen verfügbar war, für die Afghanen. Denn eines
schafften viele dieser Männer, etwas, was nur Männer schaffen konnten, dachte
Esther: sich für einmalig zu halten. Obwohl sie hörten und sahen, dass viele
Männer genauso mit Frauen umgingen wie sie selbst, hatten sie die Illusion, die
zweite, dass nur ihr Anspruch wirklich gerechtfertigt sei. Sie konnten gerade
noch ertragen oder halbwegs verdrängen, dass hin und

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