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Kurbjuweit, Dirk

Kurbjuweit, Dirk

Titel: Kurbjuweit, Dirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kriegsbraut
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Name? Sie kam nicht drauf. Der einzige Name, bei dem sie immer wieder
landete, war Fatima, aber war der afghanisch? Auf dem Gymnasium hatte es eine
Türkin gegeben, ihrem Vater gehörte die Dönerbude, die bald nach der Wende in
Bergen aufgemacht hatte. Sie hieß Aishe, aber hießen Türkinnen wie Afghaninnen?
Um halb fünf stand Esther auf, Schlaf würde sie nicht mehr finden. Blaues
Licht, muntere Vögel. Sie duschte lange, dann ging sie zurück ins Bett.
    Esther
machte ihren Dienst, als sei sie das nicht selbst, als sei sie jemand, der aus
großer Entfernung und weitgehend ungerührt einer Frau namens Esther bei der
Arbeit zusieht. Sie ging zum Essen und wieder zurück, lief am Abend ihre Runden
und stemmte Gewichte, alles wie automatisch. Sie dachte daran, dass es hieß,
die Seele verlasse nach dem Tod den Körper. Herztote, die ins Leben
zurückgeholt worden waren, hatten berichtet, wie sie von oben ihren toten
Körper betrachten konnten. So kam sie sich vor, nur dass sie einem lebenden
Körper bei seinen Verrichtungen zusah. In einem ihr später unbegreiflichen
Anfall ließ sie sich die Haare kurz schneiden und bereute es, als sie sich
abends im Spiegel sah. Kein Pferdeschwanz mehr, die Haargummis warf sie wütend
in die Mülltonne. Es hatte ihr immer gutgetan, zwei Frisuren haben zu können.
Den Pferdeschwanz, der nur hinten mädchenhaft aussah, vorne aber streng
wirkte, weil die Haare so stramm am Kopf lagen. Sie achtete immer darauf, dass
sie hier niemand mit offenem, wallendem Haar sah. Das war nur für die Menschen,
die sie wirklich liebte. Im Bett allerdings öffnete sie ihr Haar, und einer
ihrer Liebhaber hatte mal gesagt, wie schön dieser Moment sei. Er missverstand
das als Zeichen des Vertrauens und der Liebe, in Wahrheit war es nur unbequem,
auf dem Pferdeschwanz zu liegen.
    Wenn sie
nicht an die Frau dachte, dachte sie an Mehsud, und sie wusste nicht, was
schlimmer war. Sie hielt sich wieder gerne in der Nähe des Tores auf, als gäbe
es die Chance, dass er dort auftaucht, um sie zu sehen. Sie starrte an den
Schutztonnen vorbei, und manchmal waren Einheimische dort, die nach Arbeit
fragten oder ins Lazarett wollten. Sie kamen mit kleinen Autos oder Karren, auf
denen die Kranken und Verwundeten lagen. Ihre Augen waren erschreckend, tot,
ganz weiß oder rot. Sie sah riesige Geschwüre, bizarr verrenkte Glieder. Diese
Menschen waren auf eine andere Weise krank als die Menschen in Deutschland,
dachte Esther. Einem Mann fehlten beide Beine, er war auf eine Mine getreten.
Kein Wimmern, kein Schreien. Diese Menschen schauten nur, erwartungsvoll und
hoffnungslos zugleich. Mehsud kam nicht.
    Wieso gab
es Handys, wenn sie da, wo sie wirklich gebraucht wurden, nicht einsetzbar
waren? Die Welt war so stümperhaft gemacht. Sie konnte hier immerzu Wurst und
Käse essen, aber mit ihrem Liebsten telefonieren konnte sie nicht. Sie hatte
noch nie Liebster zu ihm gesagt, sie wollte es unbedingt tun, sie musste es
tun, jetzt, sofort, damit sie sein Gesicht zu diesem Wort sehen konnte,
überrascht, verwirrt, ein bisschen ablehnend vielleicht, aber dann doch
glücklich über diesen Superlativ, den ersten ihrer Liebe. Die Schule hatte ein
Telefon, es stand auf seinem Schreibtisch, allerdings war es tot, sonst hätte
sie ihn mit dem Satellitentelefon anrufen können, der Satellit dort oben war
ja ihr Freund, der würde die Verbindung hinbekommen. Sie hätte sich eines
besorgt, auch wenn es natürlich verboten war, damit privat zu telefonieren,
sie hätte das Risiko auf sich genommen, gewiss, keine Frage. Was sie nicht
denken wollte, aber manchmal denken musste, war, dass sie Mehsud vielleicht nie
wiedersehen würde. Das war möglich. Wenn der Kommandeur die Fahrten nicht
freigab, hatte sie keine Möglichkeit, ihn zu erreichen. Sie entwarf Pläne, einen
Wolf zu entführen und zu Mehsud zu fahren. Und zu bleiben.
    Esther
hatte sich für Mehsud entschieden, so viel war klar. In ihren Gedanken wurde
selbst die verunglückte Stunde in der leeren Schule zu einem Beweis dafür, dass
er richtig war für sie. Warum auch sollte alles immer schnell gehen? Er hatte
sie behandelt, als würde er sie entdecken, tastend, vorsichtig, wie etwas
Neues, Niegefühltes, Nieerlebtes. Und das war sie doch auch für ihn, so wie er
für sie. Sie konnten einander Einmaligkeit geben, viel also. Bei Thilo war sie
ja nicht nur auf küssende Paare in Taxis eifersüchtig gewesen, weil die ihnen
die Einmaligkeit nahmen. Genauso empfand sie gegenüber der

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