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Kurier

Kurier

Titel: Kurier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Berndorf
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gelernt, aus nichts eine Menge zu machen.«

    Grau nickte zustimmend. »Das ist gut.«

    Während Milan und Sigrid im Kinderzimmer verschwanden und
Sigrid sehr laut, sehr angeheitert und nach der täglichen Ration von vierzig Zigaretten
mit ihrer Reibeisenstimme raunzte: »Jetzt will ich sehen, wie Austern wirken«,
blieben Grau und Meike auf der Couch hocken.

    »Sag mir, dass du mich wirklich magst«, forderte sie.
    »Ich mag dich«, sagte Grau zärtlich.

    »Ich will dein Gesicht sehen und reden, Grau. Nur etwas
reden, mich nicht aufregen, nur reden. Warum machst du das hier? Du willst
deine Tochter rächen, nicht wahr?«

    »Ich weiß es nicht genau. Kann sein.«

    »Wie war sie?«

    »Sie war siebzehn. Und sie war wie alle Mädchen mit siebzehn:
hübsch. Aber dann war sie nicht mehr hübsch, weil irgendwelche Junkies ihr die
Vorderzähne eingeschlagen hatten. Sie ließ die Lücke, weil es ihr bereits egal
war, wie sie aussah. Meistens war sie in Frankfurt Sie sagte: Frankfurt ist
mein Todesparadies, Papi. Sie sagte dauernd solche Sachen.«

    »Hat sie … hat sie auch ihren Körper verkauft für Heroin?«

    »O ja, natürlich hat sie das. Die Sucht war so schlimm, dass
sie es musste. Aber sie hat es nie als Liebe empfunden, das war nicht so ihre
Welt. Sie hat mir einmal gesagt, dass sie jeden Männerschwanz nur als eiskaltes
Messer wahrnimmt, als etwas ganz Widerliches. Nein, sie hatte keine Lust auf
Liebe, oder sie war ihr nicht bewusst.«

    »Kam sie manchmal nach Hause?«

    »Wir wohnten damals in München. Sie kam immer wieder.
Meistens nachts, weil sie entweder trampte oder einfach in irgendwelche Züge
einstieg und sich als Schwarzfahrerin von Frankfurt nach München durchschlug.
Sie kam nach Hause und legte sich auf das Sofa. Meistens musste sie sich übergeben.

    Wir holten einen Arzt, einen Freund, der ihr immer wieder
irgendetwas spritzte, was er eigentlich nicht durfte. Jedes Mal hatten wir
Hoffnung, jedesmal dachten wir: Sie bleibt jetzt hier und steht es durch. Aber
sie verschwand immer wieder. Danach war es dann so, als sei sie niemals da gewesen.«

    »Redest du noch mit ihr?«

    »O ja«, sagte er. »Ich rede mit ihr. Ich erzähle ihr, was
in meinem Leben los ist und was ich so denke.«

    »Deine Frau, was ist mit der?«

    »Ich weiß es nicht. Wir haben keine Verbindung mehr.
Unsere Beziehung hat Eichhörnchens Tod nicht überstanden, ich konnte nicht mehr
reden, war stumm wie ein Fisch. Sie hat mal ganz wütend gesagt, früher hätten
wir wenigstens noch anständig miteinander ficken können, wenn wir Kummer hatten.
Das konnten wir dann auch nicht mehr. Ich weiß nicht einmal, ob ich damals
impotent war. Ich war einfach nichts, eine Hülle. Ich habe ihr das Haus
gegeben, alles, was dazugehörte, und bin einfach gegangen.«

    »Wo ist sie denn beerdigt, dein Eichhörnchen?«

    »In München. Wenn ich vorbeikomme, sage ich ihr Guten
Tag. Aber ehrlich gestanden: Ich kann diese entsetzliche mitteleuropäische Art,
die Toten auf dem Friedhof zu besuchen, als ginge man zu einem Kaffeeklatsch,
nicht ertragen. Sie können nicht mit dem Tod umgehen, mit den Toten auch nicht.
Aber das ist kein Thema, oder?«

    »Ich weiß nicht.« Sie rutschte an ihn heran, drehte sich,
schubste sich zwischen seine Beine und lehnte sich an ihn. »Leg deine Hand auf
meine Brüste, Grau. Ich mag das. Sundern hat dir sicher erzählt, dass ich ein
Kind habe, oder?«

    »Ja, hat er. Aber auf eine sehr nette Weise. Was ist denn
mit dem Kind?«

    »Es ist ein Mädchen. Sie ist jetzt schon über zehn Jahre
alt. Ich war zwanzig, verheiratet mit einem Drummer. Er war ein wilder,
zärtlicher Kerl. Aber er hatte eine Heidenangst vor Frauen und konnte überhaupt
nicht mit ihnen umgehen. Als ich das Baby bekam, kriegte er so viel Angst, dass
er mutterseelenallein ohne die Gruppe nach Spanien trampte. Ich entband das
Kind hier in Berlin, ohne einen Pfennig Geld, es war ganz schlimm.«

    »Warum bist du nicht nach Hause zurückgegangen?«

    »Das ging nicht. Meine Mutter mochte mich nicht, sie war
eine ganz kaputte Frau. Sie rächte sich an mir wegen ihres beschissenen Lebens.
Mein Vater war schlicht ein Schwein, mein Großvater hatte zwei Freunde, die ich
Onkel nennen musste. Wenn sie mir zwischen die Beine fassen durften, bekam ich
doppeltes Taschengeld. Mein Vater gab mir nichts dafür, dass er mich nahm wie …
na ja. Es war schlimm. Ich ging also zum Jugendamt und gab mein Kind schon vor
der Geburt zur Adoption frei. Es ist ein

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