Kurier
dicke
Wolldecke über die Knie gelegt.
Geschoben wurde er von einem jungen Mann. Hinter diesem
tauchten andere junge Männer auf, erst sechs, drei auf jeder Seite, dann
weitere vier. Plötzlich stoppten sie, weil der alte Mann ganz leicht die rechte
Hand gehoben hatte.
»Ich brauche euch nicht, Kinder«, sagte der Greis erstaunlich
kraftvoll. Er sprach Deutsch, lupenreines Deutsch.
Die jungen Männer glitten zurück hinter die Tür, die sich
schloss. Nur der Junge, der ihn lächelnd vorwärtsschob, war geblieben.
»Hallo, mein Freund«, sagte der alte Mann. Er strahlte.
Sundern ging auf ihn zu, bückte sich und küßte die Wangen
des alten Mannes. Alles wirkte vollkommen natürlich. »Pedra«, sagte er. »Ich
danke dir, dass du gekommen bist. Das sind gute Freunde von mir. Mehmet, Milan,
Grau. Wirklich gute Freunde.«
Sie verbeugten sich alle leicht und lächelten.
»Was gibt es denn Schreckliches in Berlin?«, fragte der alte
Mann. »Giuseppe, fahr mich zwischen meine Freunde. Dieses Asthma bringt mich
um, aber sie sagen, ich lebe noch ein paar Wochen. Also, was ist? Kann ich ein
Wasser haben, aqua minerale? «
Grau goss ein paar Schlucke ein und reichte ihm das Glas.
»Ich habe nicht viel Zeit, mein Junge. Ich muss Spritzen bekommen.
Jeden Tag. Kannst du es bitte kurz machen?«
»Natürlich, Pedra, selbstverständlich. Ich mache es so kurz
wie möglich. Unser Problem ist Steeben, dein Steeben.«
Der alte Mann trank einen Schluck und schloss die Augen.
Es regte ihn nicht im Geringsten auf.
»Er ist tot, Pedra.«
Der alte Mann öffnete nicht die Augen, nickte nur zweimal
kurz.
»Er hatte zehn Millionen Dollar bei sich und fünfzig Pfund
Kokain, reinen Stoff. Er kam damit nach Berlin. Diese Nachricht wurde gezielt
verbreitet. Wir haben Krieg, Pedra. Die Bullen verhaften Dealer, Hintermänner,
Großhändler. Jeder will das Kokain und die Dollars. Steeben ist tot, zumindest
haben wir Fotos …«
»Ich kann mir gut vorstellen, dass er tot ist. Ja, es
soll Fotos geben. Das habe ich gehört. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass
er in die Grube gefahren ist. Wo ist nun euer Problem?«
Sundern sagte: »Die Stadt ist durcheinander, Pedra. Wir
haben keine ruhige Stadt mehr. Die meisten denken, dass ich der Drahtzieher
bin. Das stimmt aber nicht. Sie haben Meike entführt, zweimal. Grau hier hat
sie jedes Mal heil rausgeholt, aber das war eher Zufall. Die Bullen stehen
Spalier, weil alle möglichen gierigen Leute auftauchen. Du weißt, was das
bedeutet, wenn eine Stadt unruhig ist. Wir wollen eine ruhige Stadt. Wenn also
du die Ware und das Geld hast, könntest du ein Zeichen setzen, Pedra. Wir haben
dann wieder unsere Ruhe.«
»Ich habe das Geld nicht. Das schreckliche Zeug auch nicht.«
Er öffnete die Augen ganz langsam. »Ich verstehe dein Problem. Nun gut, lasst
uns ganz offen sein. Du denkst dir doch bestimmt, dass ich Steeben ausgerüstet
und hierher geschickt habe. Ich habe es nicht sonderlich gern getan, glaub mir.
Aber zuweilen spielt das Leben eben so.« Er machte eine Bewegung, als wollte er
die Arme ausbreiten, aber sein Körper war zu schwach, seine Hände flatterten
nur ein wenig wie gefangene Vögel im Käfig.»Giuseppe, lass uns bitte fünf
Minuten allein.«
Der junge Mann nickte und ging hinaus.
»Das ist eine traurige Geschichte am Ende meines Lebens«,
sagte Pedrazzini zittrig. »Ihr werdet gleich verstehen, was ich meine.«
Er sprach gleichförmig, und Grau dachte: Er hat keine
Kraft mehr, irgendetwas zu betonen.
»Du weißt, Sundern, dass ich ein kleines Imperium aufgebaut
habe. Vollkommen legal. Nur Idioten stellen sich immer einen Padrone vor, der
nichts anderes tut, als abends Maschinenpistolen zu putzen und dann an seine
Gefolgsleute zu verteilen.« Er lächelte schmal. »Meine Spezialität war immer
die Logistik, also Lkws, die durch ganz Europa fahren. Ich hatte Erfolg, ich
hatte ein schönes Leben, eine gute Frau.
Nur einmal machte ich eine Riesendummheit. Ich habe einem
Agenten der amerikanischen DEA, dem Geheimdienst zur Drogenbekämpfung,
vertraut. Es war keine großartige Sache, aber ich lieferte ihm Wissen, und
deshalb verschonte er mich. Jetzt, mein Sohn, ist er wieder aufgetaucht und
legt eine uralte Rechnung vor, die ich begleichen muss. Damit ich sie auch
wirklich begleiche, nahm er sich mein Enkelkind.«
Er atmete tief ein und alle erstarrten vor Schreck, aber
gleich darauf sprach er weiter. »White kam und sagte, das vereinte Deutschland
wäre
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