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Kurier

Kurier

Titel: Kurier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Berndorf
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unablässig. Er war der Inbegriff des
Studenten, der sich nicht im Geringsten darüber klar zu werden braucht, was er
denn eigentlich studieren soll, solange Papi bezahlt. Aber er trank kaum,
nippte nur an seiner Bierdose. Er hatte eine Leinenjacke über die Lehne seines
Stuhls gehängt. Grau konnte deutlich in der Innentasche den Griff des Revolvers
erkennen. Vor ihm auf der Tischtennisplatte lag ein Funktelefon. Seine Augen waren
hell und vollkommen unbeteiligt.

    Es war unglaublich einfach gewesen, die Gruppe zu entdecken,
das Schachbrettmuster der Straßen hatte es ihnen erleichtert. In den Häusern
links und rechts herrschte buntes Treiben und die dröhnende Musik war ein
unüberhörbarer Wegweiser in das Studentenviertel. Kirmes der kommenden
Intellektuellen.

    Hinter Grau rollten unablässig Fahrzeuge über die Straße,
es stank nach Öl und Benzol. Zuweilen fotografierten er und Milan sich
gegenseitig.

    »Vier Mädchen und sechs Jungen. Drei von ihnen haben
Waffen«, sagte Milan leise. »Der Blonde, das schmale Mädchen mit den langen
schwarzen Haaren gegenüber und der Fuchsrote, der so aussieht wie Roger Rabbit.
Es sind viel zu viele, um irgendetwas zu versuchen. Ich hoffe, es ist nur
Besuch, und die meisten verschwinden gegen Abend. Oder sie werden zu betrunken
sein, um zu gehen. Wie alt ist Angela?«

    »Im Pass steht vierundzwanzig. Sie kann nichts allein
tun, dieser Blonde geht immer mit, sogar zum Pinkeln. Sie sieht so aus, als
stünde sie schwer unter Strom. Das wird nicht einfach.«

    Sie waren jetzt schon zum zweiten Mal vor dem Haus, und
jeder der beiden trug einen billigen Fotoapparat vor dem Bauch.

    Sie fotografierten auch einige der Menschen, die in endlosem
Strom an ihnen vorbeizogen. Laut Stadtplan lag diese Straße der ehemals reichen
Mittelschicht nur vierhundert Meter von den unübersehbaren Dschungelsiedlungen
der ganz Armen, ihren Papphäusern und Blechhütten, entfernt. Dies war die
Straße, durch die Hunderte von ihnen hin- und herwogten, in der dummen,
törichten Hoffnung, im Herzen der Stadt irgendein Glück zu machten, irgendjemanden
zu finden, der ihnen fünfzig Cent schenkte, fünfzig himmlische US-amerikanische
Cent.

    Grau wusste, dass es dreißig Cent kostete, eine sechsköpfige
Familie zwei Tage lang mit Brot zu versorgen. Er wusste auch, dass nicht einer
in dieser endlosen Prozession diese dreißig Cent besaß. Er hatte eine Studie
von UNICEF gelesen.

    Eine alte Frau stolperte vorbei, sie hielt eine kleine,
völlig verdreckte Stoffpuppe. Sie hielt sie zahnlos mümmelnd Grau entgegen, der
ihr einen Dollar dafür gab und mit Mühe verhindern konnte, dass sie ihm dafür
die Hand küsste. Behände wie eine Ratte war sie verschwunden, um wenige Minuten
später mit einem alten, verdreckten Aluminiumteller aufzutauchen und neckisch
so zu tun, als hielte sie eine Kostbarkeit in den Armen. Grau gab ihr auch
dafür einen Dollar. »Wir sollten sehen, dass wir hier verschwinden«, sagte er.

    »Wir müssen überlegen, was sie für Technik im Haus haben.
Ich denke, Telefone und sogar Funk. Wir müssen das kaputtmachen, ehe wir
verschwinden. Siehst du da oben auf dem Dach diese komische lange Antenne? Das
ist Funk.«

    »Und wenn wir den Strom abstellen?«, fragte Grau, nicht
sehr überzeugt.

    »Reicht nicht. Sie haben Batterietelefone«, antwortete Milan.
»Wir sollten Kontakt aufnehmen, wir brauchen wenigstens irgendetwas, um ihnen Angst
zu machen.«

    »Mir macht eher unser Rückzug Probleme. Wir werden unter
keinen Umständen irgendeine Linienmaschine benutzen können. Das klappt nie. Sie
haben Einfluss genug, um den ganzen Flugbetrieb zu stoppen. Was denkst du?«

    Milan grinste sanft. »Früher bin ich dreißig Kilometer zu
Fuß gelaufen, weil ich kein Geld für den Bus hatte, jetzt sage ich: Lass uns
einen Hubschrauber mieten! Wir könnten irgendwohin fliegen, wo wir dann eine
Maschine kriegen.«

    Grau war erheitert. »Weißt du, wie das hier auf diesem
Kontinent ist? Wir müssten Hunderte von Kilometern überbrücken. Wie soll denn
das gehen?«

    »Was weiß ich.« Milan lief immer noch hin und her. »Welche
Städte liegen in der Nähe?« Er lachte unterdrückt. »Wir haben es doch!«

    Grau grinste. »Lass uns zu unserem Kontaktmann gehen.«
Ein Taxi fuhr sie in die Altstadt. Ihr Kontaktmann stellte sich als Besitzer
einer armseligen Autoreparaturwerkstatt heraus. Chevrolet stand mattblau auf einer uralten Holztafel.

    Der Mann war bärtig, dick und unglaublich dreckig.

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