Kurier
sich neben Milan, sie pinkelten
vor sich hin.
»Was hast du erfahren?«
»Sundern und diese Frau sind richtig wichtige Leute. Keiner
weiß was, aber jeder sagt, sie hätten die Stadt irgendwie fest im Griff.«
»Irgendeine Partei?«, fragte Grau leise.
»Ja. Die meisten tippen auf Freie Demokraten, aber CDU
ist auch vertreten, SPD auch. Nur Grüne und Bündnis 90 kommen nicht vor. Was
ist, was hast du vor?«
»Ich werde mit Sundern reden«, sagte Grau. »Er wird bald
kommen. Hast du den Blonden mit den englischen Schuhen gesehen?«
»Na sicher. Er sitzt neben dir an der Bar. Drei, vier Hocker
weiter. Ich kann ihn kitzeln, wenn du willst.«
»Was heißt das?«
»Ich kann ihm ausrichten, dass du ihn nicht magst. Er
wird dann verschwunden sein.«
»Keine Gewalt«, entschied Grau und ging wieder hinaus.
Die Szene hatte sich nicht verändert. Der Tisch, von dem
er annahm, dass er für Sundern reserviert war, war immer noch leer.
Der Blonde mit den englischen Schuhen saß tatsächlich
vier Barhocker weiter als Grau und machte den typischen Eindruck des Fremden in
einer Stadt, in der er nicht einschlafen kann und sich an einem Glas festhalten
muss. Er hielt den Kopf über sein Glas geneigt, und die mattgelbe Lampe über
ihm ließ seine Haare schimmern. Ein gepflegter Mensch, dachte Grau. Er kannte
den Mann nicht, er war sicher, dass er ihn noch nie im Leben gesehen hatte.
Milan schlenderte zwischen den Tischen hindurch und setzte sich wieder an seinen
Platz.
»Da kommt Sundern«, sagte die Frau hinter dem Tresen.
Beinahe hätte Grau geantwortet: »Stören Sie mich jetzt
nicht.« Er setzte sich aufrecht hin und konzentrierte sich.
Sundern kam von links, vom Treppenaufgang. Er war ein
großer, etwas plumper Mann. Grau schätzte ihn auf fünfundvierzig. Er ging
schnell und leicht watschelnd, mit weit ausholenden Handbewegungen. Er sagte
lachend irgendetwas zu den hinter ihm Gehenden. Grau konnte es nicht verstehen.
Als Sundern merkte, dass er die Aufmerksamkeit des Publikums im Raum auf sich
zog, wurde er etwas langsamer, lächelte breit und mit sehr weißen Zähnen nach
links und nach rechts. Ein paar Gäste grüßte er besonders intensiv, sagte sehr
leutselig: »Oh, hallo, sehr erfreut!«, und bewegte dazu seine rechte Hand wie
ein Imperator.
Er ging sehr dicht an Grau vorbei. Alles in seinem
Gesicht war hässlich. Das Kinn, die wulstigen Lippen, die Nase, die leicht
fliehende Stirn – das alles sah so aus, als hätte jemand versucht, aus einer
Handvoll Kartoffeln ein Gesicht zu formen. Alles wirkte knollig. Die Haut war
großporig, Sundern schwitzte leicht, auf seiner Stirnglatze glänzte es feucht.
Sein Haar wirkte dünn und gelb, und es hing lang über den Kragen der
Jeansjacke. Er trug keinerlei Schmuck. »Hallo, meine Lieben!«, grüßte er unentwegt
nach links und rechts und steuerte den Tisch an, an dem niemand saß.
Ihm folgten zwei junge, sehr schlanke und muskulös wirkende
Männer, etwa dreißig Jahre alt, die keine Miene verzogen, aber auch nicht
sonderlich neugierig wirkten. Wahrscheinlich die Privatarmee, dachte Grau.
Sundern setzte sich krachend in einen der Sessel, die beiden
Männer stellten sich abseits an die Ecke der langen Bar. Dann folgte ein
dritter Mann, ein schmaler, drahtiger Typ, etwa vierzig Jahre alt. Er sah sehr
gelangweilt aus und platzierte sich so neben einer Topfpalme, dass Sundern gewissermaßen
zwischen ihm und den beiden jungen Männern saß. Grau taufte diesen Mann wegen
seines hageren Gesichtes sofort ›das Frettchen‹, und er bemerkte erheitert, dass
Milan schnell die rechte Hand hob und drei Finger ausstreckte. Er hat es
begriffen, dachte Grau heiter, er ist ein Profi.
Eine junge Frau mit nackten Brüsten und einem sehr kurzen
weißen Rock trat auf Sundern zu und sprach mit ihm. Er sagte lachend irgendetwas
und sie verschwand wieder.
Dann kam die nächste Gruppe, offensichtlich Freunde von
Sundern. Laut und lärmend zogen sie vorbei. Sie setzten sich an seinen Tisch,
drei Männer und drei Frauen, und schienen trotz aller Quirligkeit eine genaue
Rangfolge einzuhalten, denn sie nahmen mit traumwandlerischer Sicherheit und
ohne einander zu behindern ganz bestimmte Sessel und Stühle ein. Die
Speichellecker, dachte Grau.
Dann tauchte eine Frau auf, die ein leuchtend rotes Kleid
trug, das kaum ihre Brüste und ihren Hintern bedeckte. Sie kam nicht vom
Treppenaufgang, sondern direkt aus dem Hintergrund des Raumes, und Grau fragte
sich, ob er dort
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