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Kurier

Kurier

Titel: Kurier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Berndorf
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großen Flasche Magenbitter
unter dem Arm. Er ließ Grau trinken und sah ihn so besorgt an wie ein
väterlicher Arzt.

    Grau war sofort leicht betrunken und wurde störrisch.
»Ich will nach Hause«, reklamierte er.

    »Erst zu Mehmet«, sagte Geronimo. Er hatte seine Befehle.

    »Nach Hause«, beharrte Grau.

    »Erst Mehmet«, wiederholte Geronimo sanft.

    Grau legte den Kopf an Geronimos Schulter: »Macht doch,
was ihr wollt.«
    Er erkannte die Fassade von Mehmets Restaurant wieder und
grinste kindisch, weil Geronimo ihn mit sich schleifte wie ein etwas zu groß
geratenes Paket. Sie tauchten in die Dunkelheit des Eingangs, und dann war da
eine dicke, kleine, alte Frau mit einem Kopftuch, die kräftig nach Graus
rechter Hand griff und sie küsste.

    »Was soll das?«, fragte Grau verwirrt.

    »Wir lieben dich«, dröhnte Geronimo.

    Ein paar Leute fingen an zu klatschen und schließlich
klatschte das ganze Lokal. Es war berstend voll und die Frauen und Männer, die
ihn anstrahlten, sahen aus wie Türken.

    »Wie viel Uhr ist es denn?«, fragte er etwas töricht, nur
um etwas zu sagen.

    »Zehn Uhr, mein Freund.« Geronimo bahnte ihm den Weg
durch die Menge.

    »Wo ist denn Milan?«, wollte Grau wissen.

    »Irgendwo hier«, sagte Geronimo. »Das ist auch so ein
Sauhund. Da ist mein Chef: Mehmet.«

    Der Mann war klein, sehr schmal, sah ein bisschen aus wie
Omar Sharif, nur gesünder. Er fiel Grau um den Hals und die Umarmung fiel so
heftig aus, dass Grau ins Straucheln geriet, stolperte und Halt suchend nach
einer Stuhllehne griff.

    »Sie hat der Himmel geschickt«, strahlte Mehmet. »Wir
wollen uns bedanken.«

    »Können Sie das auch noch später tun?«, fragte Grau gepresst.
»Ich muss, ich muss … ich bin irgendwie …«

    Jemand sagte in die plötzliche Stille: »Der Mann blutet.
Da, er blutet.«

    »Ich blute doch nicht!«, protestierte Grau. »Wo denn?«

    Er hockte sich auf den Stuhl und dieselbe Stimme kam
jetzt hektisch: »Na da, in der Taille. Mehmet, der braucht einen Arzt.« Es war
die Stimme einer Frau.

    Sie redeten alle wild durcheinander und Geronimo stellte
sich neben Grau und bat: »Zieh mal das Hemd aus, los, zieh das Hemd aus.«

    Er hob Grau leicht hoch und zog ihm das Hemd aus der
Hose. Der Schmerz kam schneidend. »Scheiße!« Grau wurde heftig. »Wieso … ich
meine, wieso habe ich da …« Er betrachtete die klaffende Wunde, die die Kugel
in die Seite oberhalb des Hüftknochens gerissen hatte. Sie blutete stark.
»Wieso habe ich das nicht gemerkt?«

    »Du hattest keine Zeit, es zu merken«, sagte Milan neben
ihm. »Das war der Südamerikaner, den du unbedingt verbinden wolltest.«

    »He, Kumpel!« Grau war erfreut. »Bring mich hier raus,
die sind doch alle verrückt.«

    »Ja, ja, aber nett. Mehmet hat bestimmt einen Arzt an der
Hand. Mehmet, der braucht erst mal Ruhe, verdammt noch mal!«

    Die Bilder um Grau herum begannen zu tanzen, sehr viele
Gesichter waren wie Fratzen ganz dicht vor ihm, jemand brüllte: »Nun lasst ihn
mal durch, Leute!«

    Dann verschwamm alles und er spürte, wie er hochgehoben
wurde. Milan schrie zornig etwas, dann war es gespenstisch still und dunkel.

    Grau wurde vor Schmerzen wach. Jemand tastete die Wunde
ab und sagte: »Ruhig, ganz ruhig bleiben.« Dann spürte er einen Stich und
dieselbe Stimme sagte: »Das ist ein Klacks, das brauche ich nicht mal zu
nähen.«

    Grau öffnete die Augen, sah aber nur eine weiße Wand,
weil er auf der Seite lag. Er befand sich auf einem fremden Bett.

    »Wie geht es Ihnen?«

    »Es geht so«, stöhnte er.

    »Sie werden keine Schmerzen mehr haben. Es ist nicht
weiter schlimm, ein Streifschuss. Wie sieht denn der Kreislauf aus?«

    »Fragen Sie ihn doch«, stieß Grau zwischen den Zähnen
hervor.

    Er wurde vorsichtig auf den Rücken gedreht und musste die
Augen schließen, weil an der Decke eine grelle Lampe brannte.

    »Das ist nicht gut, das ist Schock«, sagte die Stimme.
    »Das ist Kampfschock«, sagte Milan von irgendwoher.
    »Also Kreislauf und Pumpe«, sagte jemand.

    Grau wollte etwas zum Gespräch beisteuern, wollte sich
mit aller Gewalt lustig machen über den ›Kampfschock‹, verlor aber wieder das
Bewusstsein.

    Er fand es beruhigend, dass er sich sofort an alles
erinnerte, als er erneut erwachte. Der Raum war in Halbdunkel getaucht. Rechts
neben ihm auf einem Tischchen brannte eine Lampe. Daneben sah Grau auf einen
hohen Ständer mit einer Plastikflasche, in der eine wasserhelle Flüssigkeit
durch ein

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