Kurier
grellweißen Streifen der Augen. Das war erschreckend. »He,
Junge«, sagte er rau. Er tastete vorsichtig und sehr systematisch den Körper
des Mannes ab, aber außer der heftig blutenden Schusswunde am rechten Oberschenkel
fand er keinerlei Verletzungen. Die Blutung kam gleichmäßig dick, nicht unter
Stößen.
»He«, sagte Grau, fasste ihn am Kinn und bewegte seinen
Kopf vorsichtig hin und her. Er kam sich albern und hilflos vor.
Der Mann änderte den Rhythmus seines Atems, sein breiter
Mund schmatzte leicht und verzog sich. Dann lief ein dünner Faden Speichel aus
dem Mundwinkel. »Na also«, lobte ihn Grau, »es geht doch.«
Der Peruaner begann jetzt zu zucken und wollte nach der
Wunde tasten, aber Grau hielt schnell seine Hand fest. »Mach keinen Scheiß,
Junge. Das tut doch weh.« Er fasste vorsichtig den rechten Fuß des Verletzten
und zog daran, um das Bein flach zu legen. Der Mann stöhnte.
»So ist es gut. Du darfst hier nicht einfach herumliegen.
Wach auf!«
Jemand kam, unermüdlich »Grau!« rufend, im Treppenhaus
hoch. Es war ein Mann, und offensichtlich rannte er, so schnell er konnte. Es
war Geronimo.
»Du musst weg hier«, hauchte er atemlos und hielt sich
mit beiden Händen am Geländer fest. »Die Bullen rücken an.«
Er sah an Grau vorbei und zuckte zusammen, als er den
Peruaner sah. »O Gott, Grau«, stöhnte er.
»Der Mann muss verbunden werden«, erklärte Grau lapidar.
»Du bist bekloppt«, hauchte Geronimo. »Milan sagt das
auch.«
»Gott sei Dank«, sagte Grau. »Hilf mir mal, ich muss dieses
blöde Hosenbein abschneiden.«
»Was machen wir, wenn wir unten nicht mehr rauskommen?
Wenn ich das Mehmet erzähle, erklärt er mich für verrückt. Wir können den da
doch später noch verarzten.«
Sie schleppten den Verwundeten an Schultern und Beinen
die Treppe hinunter. Vor dem Haus stand ein großer BMW. Sie verfrachteten den
Peruaner auf den Rücksitz und Grau bemerkte keuchend: »Ihr braucht doch einen,
um ihn zu befragen.«
Geronimo kicherte erheitert: »Milan sagt, du bist ein absoluter
Träumer. Er hat recht.«
Sie quetschten sich neben den jungen Fahrer, der mit stoischem
Gesicht hinter dem Lenkrad saß und sofort Vollgas gab. Als sie mit 160
Stundenkilometern stadteinwärts rasten, kam ihnen eine Kolonne Streifenwagen
mit Martinshorn und Blaulicht entgegen.
Geronimo war begeistert: »Also von denen kann man noch
was lernen, ihr Timing ist wirklich fantastisch. Sie kommen immer genau
zweihundertvierzig Sekunden zu spät. – Und nun erzähl mir mal, Kleiner, was du
bis jetzt alles erlebt hast im schönen Berlin.«
Lehrstunden
Die Szenen schienen alle irgendwie verzerrt.
Grau hockte im Auto, versuchte, ruhiger zu atmen und
gegen seine Übelkeit anzukämpfen, während Geronimo unermüdlich auf ihn
einredete und dauernd wiederholte: »Es ist ja nicht wichtig, was ich finde,
aber wie du das Ding geschaukelt hast!«
Irgendwann sagte Grau heftig: »Verdammt noch mal, halt
endlich die Schnauze!«
Die Welt schien stillzustehen, der Fahrer wurde blass und
bewegte sich unruhig.
»Schon gut«, wisperte Geronimo kleinlaut. »Es ist nur die
Aufregung, verstehst du? Wir hängen bis zur Unterlippe in der Scheiße, und du
kommst und machst schwupp, und wir sind draußen. Mein Gott, wer bist du denn?«
Die Frage blieb unbeantwortet, da sich in diesem Moment
das Funkgerät einschaltete und eine ruhige Stimme befahl: »Mit der
Geschwindigkeit runter. Ihr habt Radarfallen in Höhe Spandauer Damm.«
Der Fahrer reagierte sofort, bremste, fädelte sich auf
die rechte Fahrbahn ein und rollte sanft dahin.
Grau staunte. »Ihr hört den Polizeifunk ab.«
»Man tut, was man kann«, gab der Fahrer bescheiden zurück.
Dann kam eine neue Anweisung: »Auf sechzehn, bitte.«
Der Fahrer schaltete den Funk auf Kanal sechzehn und
dieselbe Stimme befahl: »Zurück nach Hause, ohne Unterbrechung.«
»Idiotisch«, jammerte Grau. »Mir ist verdammt schlecht.
Hast du so etwas wie einen Schnaps im Auto?«
»Ich habe keinen Schnaps. Halt an, Gonzales, halt an, da
ist ein Kiosk. Was willst du denn für einen?«, fragte Geronimo fahrig.
»Etwas für den Magen«, nuschelte Grau.
Geschickt kletterte der massige Geronimo über Graus Schoß
hinweg, öffnete die Wagentür und verschwand.
Der Peruaner auf dem Rücksitz atmete laut und hielt sich
sein Bein.
»Es tut mir so leid«, entschuldigte sich Grau bei ihm,
»ich werde für dich sorgen.«
Geronimo kam zurück, mit einer
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