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Kurpfalzblues

Titel: Kurpfalzblues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Bach
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stimmen kann.
Dass ich bei Tanja war, muss so zwei Wochen vorher gewesen sein. Da habe ich
was durcheinandergeworfen.«
    »Und, wo waren Sie dann am Montagabend?« Mengert, der auf der
Küchenbank wie ein Riese wirkte, verschränkte die Arme, wahrscheinlich eine
Vorsichtsmaßnahme, um nicht am Tisch festzukleben.
    Karel Lindnar hatte sich ihnen gegenübergesetzt. Beiläufig schob er
Teller und Pappkartons beiseite, so als müsse er für etwas Platz schaffen.
    »Ich habe schon überlegt, wo ich war«, sagte er. »Aber …«
    Er verstummte. Im Zeitlupentempo begann er mit dem Zeigefinger
irgendeinen Krümel über den Tisch zu schieben, erst nach links, dann nach
rechts, dann wieder zurück. Scheinbar gedankenlos. So wie jemand, der während
des Telefonierens kleine Karos auf den Notizblock malte.
    Wie hypnotisiert starrte Maria auf seine Hand, konnte den Blick
nicht mehr davon lösen. Es waren Spritzer darauf. Rote Spritzer, von einer
getrockneten Flüssigkeit. Ein kräftiges, dunkles Rot.
    Sie schaute hoch. Ihre Blicke trafen sich. Lindnar wusste genau, was
sie gesehen hatte.
    »Ich habe wirklich ein schlechtes Gedächtnis«, sagte er und
lächelte. »Das ist wie mit der Küche. Ich wäre am Wochenende dran gewesen,
aufzuräumen. Habe ich doch total vergessen. Aber das hier, das ist gar nichts
gegen mein Zimmer.« Seine Stimme wurde leise, fast flüsternd, als verrate er
ein Geheimnis. »Wenn Sie mein Zimmer sehen würden, Sie wären entsetzt. Sie
wären so entsetzt.«
    Was sollte das? Wollte der, dass sie in sein Zimmer gingen?
    Es klang wie ein Auftrag: Geh hin und sieh nach! Sieh nach, was da
so entsetzlich ist. Sieh nach, weshalb ich rote Spritzer auf der Hand habe.
Sieh nach, weshalb die Musik so laut sein musste.
    »Dann schauen wir uns Ihr Zimmer doch einmal an, Herr Lindnar.«
Maria stand auf.
    »Verstehe ich nicht ganz«, Mengert rutschte von der Bank, »aber
bitte.«
    Sie gingen den Flur entlang. Vor der Zimmertür blieb Lindnar stehen
und drehte sich zu Maria um.
    »Und Sie sind sich ganz sicher, dass Sie es sehen wollen?«
    Er stand da mit verschränkten Armen.
    Arthurs Prophezeiung. Maria konnte an nichts anderes denken. Die
nächste tote Braut, in einem Raum mit Rosenblüten auf dem Boden.
    »Gehen Sie zur Seite.«
    Maria öffnete die Tür.
    Das Zimmer lag im Halbdunkel, das Rollo am Fenster war ein Stück
herabgelassen. Ein Wollteppich bedeckte die Holzdielen, vor dem Fenster stand
ein Schreibtisch mit einem Computer, an der Wand ein breites Bett, von dem eine
Steppdecke herunterhing.
    »Ach du Scheiße!« Mengert hatte es als Erster entdeckt.
    Auf der Wand rechts neben der Tür waren mehrere Zeilen zu sehen, in
großer Schrift, rot, über eine Fläche von anderthalb Metern. An einigen Stellen
war die Flüssigkeit nach unten getropft, blutrote Rinnsale, bis zum Boden hin.
    Mordnacht
    Es war, als hätt das Böse
    die Erde kalt berührt,
    hätt still, ohn’ viel Getöse,
    die Liebste mir entführt.
    Schwarzvogel überm Neckar,
    die Wogen rauschten leis,
    der Himmel glänzte sternklar,
    die Luft war kalt wie Eis.
    Und ihre Seele kämpfte,
    wollt bleiben, wollt nicht fliegen,
    doch Tod die Schreie dämpfte,
    musst sterben, kannst nicht siegen.
    »Als Vorlage habe ich die ›Mondnacht‹ genommen.« Lindnar fuhr sich
durch die Haare, den Blick stolz auf sein Werk geheftet. »Sie interessieren
sich doch für Eichendorff? Ich habe es umgeschrieben. Am schwierigsten fand ich
die letzten vier Zeilen. Da muss ich noch etwas dran arbeiten.« Er stützte die
Hände in die Seiten. »Und, wie finden Sie es? Nicht schlecht, was?«
    Er hob ein Blatt auf, das auf dem Boden lag. »Im Original geht das
so: ›Es war, als hätt der Himmel die Erde still geküsst, daß sie im
Blütenschimmer von ihm nun träumen müsst. Die Luft ging durch die Felder, die
Ähren wogten sacht …‹«
    »Womit haben Sie das geschrieben?«, fragte Maria.
    »Womit? Na, mit einem Pinsel.«
    »Ich will wissen, was das ist! Farbe?«
    Karel Lindnar trat einen Schritt auf die Wand zu und betrachtete die
Schrift.
    »Acryl«, sagte er. »Oder vielleicht doch nicht? Warten Sie, jetzt
fällt es mir wieder ein.« Er drehte sich zu ihr um, das Gesicht voller Spott
und Hohn. »Ich glaube, das ist Jungfernblut mit Spucke.«
    Es war kein Blut, mit dem Lindnar das Gedicht an die Wand
geschrieben hatte. Es war ordinäre Acrylfarbe, so wie man sie in jedem
Bastelgeschäft bekam. Maria hatte geschnüffelt und geschnuppert. Das, was
Lindnar da für seine

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