Kurs auf Spaniens Kueste
frühstücken«, sagte er und ergriff freundschaftlich den Arm seines Ersten. »Sie sehen immer noch leichenblaß aus.«
»Sie müssen mich entschuldigen, Sir«, flüsterte James und machte sich mit einem Blick los, aus dem Jack tiefer Haß entgegenschlug. »Ich bin heute nicht ganz in Ordnung.«
ACHTES KAPITEL
ICH BIN VÖLLIG RATLOS, bei meiner Ehre. Deshalb schildere ich Ihnen die Situation frank und frei, im Vertrauen auf Ihre Unvoreingenommenheit ... Ich bin völlig ratlos. Ich kann mir ums Verrecken nicht vorstellen, welchen Vorwurf er mir macht ... Daß ich diese Gefangenen, die uns so mißbräuchlich aufgezwungen wurden, auf Dragon Island ausgesetzt habe, kann es nicht sein (obwohl er dies offen mißbilligte), denn der Ärger begann vorher, viel früher am Morgen.«
Stephen hörte mit ernstem Gesicht aufmerksam zu und unterbrach ihn kein einziges Mal. So breitete Jack die Geschichte seiner Beziehung zu James Dillon vor ihm aus, langsam und ausführlich forschte er nach zurückliegenden Details, die er vielleicht übersehen hatte, kehrte dann erst in die Gegenwart zurück und stellte auf diese Weise eine lückenlose Chronologie her: gut, schlecht — dann wieder gut und wieder schlecht — und zuletzt diese drastische Verschlechterung, unerklärlich und verletzend, weil sich zwischen ihnen, abgesehen vom beruflichen Respekt, neuerdings ehrliche Sympathie entwickelt hatte. Hinzu kam Marshalls unberechenbares Benehmen, aber das war von geringerer Bedeutung.
Mit großer Sorgfalt zählte Jack seine Argumente dafür auf, weshalb an Bord Harmonie und Ausgeglichenheit herrschen mußten, wenn aus seinem Schiff eine schlagkräftige Kampfmaschine werden sollte. Er führte positive oder abschreckende Beispiele dafür an, während Stephen lauschte und gelegentlich zustimmte. Aber er konnte sein Hintergrundwissen nicht dazu benutzen, Jacks Schwierigkeiten zu bereinigen, wie er auch seine guten Dienste als Vermittler nicht anbieten konnte, obwohl Jack ein wenig schamlos darauf spekulierte. Denn er war lediglich ein ideeller Gesprächspartner, weil sein denkender Körper dreißig Meilen weit weg im Südwesten lag, getrennt von Jack durch eine Wasserwüste. Und wie wüst war das Wasser und wie rauh die See! Denn nach tagelanger, frustrierender Flaute und anschließendem Starkwind aus Südwest war der Wind in der Nacht auf Ost umgesprungen, und jetzt hatte voller Sturm schon den ganzen Tag hohen Seegang aufgebaut, durch den sich die Sophie unter doppelt gerefften Mars- und Hintersegeln kämpfte; die Kreuzseen brachen über ihren Luvbug und durchnäßten den Ausguck auf dem Vordeck, krängten die Sophie , während James Dillon, der schief auf dem Achterdeck stand, Zwiesprache mit dem Teufel hielt, und schaukelten Jack in seiner Schwingkoje, während er stumm und verzweifelt die Dunkelheit um Rat befragte.
Er führte ein ungemein hektisches Leben. Und doch ließ es ihm, sobald er am Wachtposten vor seiner Tür vorbei war und in die Einsamkeit seiner Kajüte trat, eine Unmenge Zeit zum Nachdenken. Diese Zeit wurde nicht mit kurzen, unverbindlichen Unterhaltungen vertan, nicht mit politischen Diskussionen oder einsamen Flötenkonzerten. Ich werde mit ihm sprechen, sobald wir ihn aufgelesen haben, nahm Jack sich vor. Ich werde ganz allgemein mit ihm sprechen — über den Trost, den es bedeutet, einen vertrauten Freund an Bord zu haben. Und über diesen einzigartigen Gegensatz im Leben eines Seemanns, dem in einem Augenblick alle seine Bordkameraden im Nacken sitzen, dicht an dicht in der Messe, so daß er kaum Luft holen, geschweige denn ein Tänzchen auf der Geige spielen kann — und der im nächsten Augenblick in die Einsamkeit gestoßen wird, auf Selbstgespräche angewiesen wie ein Einsiedler, isoliert wie noch nie in seinem Leben.
Unter starker Belastung reagierte Jack Aubrey in der Regel auf zweierlei Art: Er wurde entweder aggressiv oder liebeshungrig. Bei Streß verlangte es ihn nach der gewalttätigen Entladung im Kampf oder nach der Entspannung im Liebesakt. Er liebte das Gefecht, und er liebte die Frauen.
Ich kann gut verstehen, daß manche Kommandanten ein Mädchen mit auf See nehmen, überlegte er. Ganz abgesehen vom Vergnügen — was ist es doch für ein Trost, im warmen, lebendigen, liebevollen Fleisch zu versinken ... Frieden. Ich wünschte, ich hätte ein Mädchen hier in der Kajüte, setzte er nach einer Pause hinzu.
Doch dieses Gemütschaos, dieses offen zugegebene Unverständnis blieben strikt auf
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