Kurs auf Spaniens Kueste
manövrieren mußte. Aber das alles war gar nichts im Vergleich zu der Bestürzung und gespannten Sorge, vielleicht sogar Furcht, die Stephen empfing, als er bei Sonnenaufgang das Achterdeck betrat.
Trommelwirbel, die das Schiff zur Gefechtsbereitschaft riefen, hatten ihn geweckt. Sofort hatte er sich ins Lazarett begeben, wo er mit Cheslins Hilfe seine Instrumente bereitlegte. Ein freudig erregtes Gesicht aus den oberen Regionen hatte ihm »eine mächtig große Schebecke hinter dem Kap, dicht unter Land« angekündigt, und er hatte dies mit wohlwollendem Nicken quittiert. Nach einer Weile ging er dazu über, sein Amputationsmesser zu schleifen; dann schärfte er seine Lanzetten und schließlich die feinen Zähne seiner Knochensäge, mit einer kleinen Feile, die er eigens dafür in Tortosa gekauft hatte. Die Zeit verging. Statt des munteren Gesichts erschien ein völlig verändertes, leichenblasses, überbrachte eine Empfehlung des Kommandanten und die Aufforderung, an Deck zu erscheinen.
»Guten Morgen, Doktor«, sagte Jack, und Stephen fiel auf, daß sein Lächeln angestrengt wirkte, sein Blick kalt und wachsam. »Es sieht so aus, als hätten wir uns einen Tataren eingefangen.« Mit einem Nicken deutete er übers Wasser auf ein langes, schnittiges, auffallend elegantes Schiff, das sich hellrot von den grauen Klippen dahinter abhob. Für seine Größe (die vierfache der Sophie ) lag es tief in der See, aber achtern ragte ein Kastell hoch übers Wasser und reichte als Plattform weit über den Heckspiegel hinaus, während ein schnabelartiger Sporn den Vorsteven um rund sieben Meter nach vorn verlängerte. Groß- und Besanmast trugen riesige, gebogene Lateinerrahen, deren Segel jetzt den Südwestwind ausschütteten, damit die Sophie herankommen konnte. Sogar die Rahen waren rot gestrichen, wie Stephen selbst auf diese Entfernung erkannte. Ihre Steuerbord-Breitseite, der Sophie zugewandt, zeigte nicht weniger als sechzehn Stückpforten, und auf ihren Decks drängte sich eine außergewöhnlich starke Besatzung.
»Eine Schebeckenfregatte mit zweiunddreißig Kanonen«, klärte Jack ihn auf. »Und eindeutig spanisch. Die Blenden über ihren Stückpforten haben uns genarrt — ich hielt sie bis zum letzten Moment für einen Kauffahrer —, außerdem war fast ihre ganze Besatzung unter Deck. Mr. Dillon, schaffen Sie noch mehr Leute außer Sicht, ohne daß es auffällt. Mr. Marshall, drei oder vier Mann, nicht mehr, sollen das Vorbramsegel ausreffen — aber so langsam und ungeschickt wie Handelsmatrosen. Andersen, rufen Sie noch ein paar dänische Befehle, und lassen Sie diese Pütz über die Seite hängen.« Jack wandte sich wieder Stephen zu und sagte leise: »Sehen Sie ihn sich an, den schlauen Fuchs. Hat die Stückpforten erst vor zwei Minuten geöffnet, vorher waren sie unter all dem farbigen Schnitzwerk verborgen. Und obwohl sie darauf verzichteten, am Vormast ihre Breitfock zu setzen — sehen Sie, er trägt daran gewöhnliche Querrahen —, können sie diese Lateinersegel im Handumdrehen wieder dichtholen und uns den Weg versperren. Wir müssen weiter auf sie zuhalten — keine andere Wahl — und hoffen, daß wir sie täuschen können. Mr. Ricketts, Sie haben die Flaggen zur Hand? Ziehen Sie sofort Ihre Jacke aus, und werfen Sie sie in eine Backskiste. Na bitte, da haben wir's.« Eine Kanone krachte auf dem Achterkastell der Fregatte, der Warnschuß ging dicht am Bug der Sophie vorbei, und die spanischen Farben stiegen drüben über den Rauch, gefolgt von der Quarantäneflagge am Fockmast. »Pram, kommen Sie hier herauf, und wedeln Sie aufgeregt mit den Armen, rufen Sie Befehle auf dänisch. Mr. Marshall, wir drehen ungeschickt bei, in einer halben Kabellänge Abstand, nicht näher.«
Dichter und dichter heran. Totenstille an Bord der Sophie , Stimmengewirr auf der Schebecke, immer lauter herüberwehend. Jack stand in Hemd und Hose — ohne Uniformrock — hinter Pram und übernahm das Ruder. »Seht euch nur die vielen Leute an«, sagte er halb zu sich selbst, halb zu Stephen. »Das müssen mindestens dreihundert sein. Gleich werden sie uns anpreien. Dann wird Pram antworten, daß wir Dänen sind und von Algier kommen. Und Sie, Sir, werden ihn bitte mit Ihrem Spanisch unterstützen — oder in jeder anderen geeigneten Sprache, je nach Bedarf.«
Der Anruf kam heil und klar über die morgenfrische See: »Welche Brigg?«
»Laut und deutlich, Pram«, befahl Jack leise.
»Clomer!« rief der Quartermaster in beiger
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