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Kurs auf Spaniens Kueste

Kurs auf Spaniens Kueste

Titel: Kurs auf Spaniens Kueste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick O'Brian
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und bis Tom Simmons den Meeresgrund in vierhundert Faden Tiefe erreicht hatte, war sie drauf und dran, sich in eine weißgestrichene Schnau mit schwarzen Aufbauten zu verwandeln, mit einer parallel zum Untermast gespannten, straffen, armdicken Trosse, die einen Schnaumast vortäuschen sollte. Zur gleichen Zeit drehte sich mit schöner Regelmäßigkeit der Schleifstein auf dem Vorschiff und schliff schärfere Schneiden, tödlichere Spitzen in Entermesser und -beile, Piken, Bajonette, Fähnrichsdolche und Offizierssäbel.
    An Bord ging es geschäftig zu wie immer, und doch hing ein gewisser Ernst über allem. Es war nur natürlich, daß seine Backschaft oder sogar seine ganze Wache so kurz nach der Bestattung eines Kameraden mit traurigen Gesichtern herumlief (und Tom Simmons war beliebt gewesen, sonst hätte er kein so tödliches Geburtstagsgeschenk bekommen); aber dieser Ernst steckte die ganze Besatzung an, und kein spontanes Shanty erklang auf dem Vorschiff, keiner der üblichen Scherze in der Kuhl. Eine gedämpfte und grüblerische Atmosphäre lag über dem Schiff, keineswegs gereizt oder trotzig, aber ... Stephen hing in seiner Koje (er hatte die ganze Nacht bei dem armen Simmons gewacht) und suchte die richtige Definition ... Aber die Stimmung war — bedrückt? — besorgt? — voll düsterer Vorahnungen? Trotz des fürchterlichen Krachs, den Mr. Day und seine Helfer beim Überholen der Munitionsschapps, beim Entrosten der aberhundert Kugeln und bei ihrem Zurückrollen über hallende Decksplanken veranstalteten, fiel Stephen schließlich in Schlaf, ohne den passenden Ausdruck gefunden zu haben. Er erwachte, weil sein Name gefallen war.
    »Dr. Maturin? Nein, jetzt ist Dr. Maturin auf keinen Fall zu sprechen«, sagte die Stimme des Masters in der Offiziersmesse. »Sie können mir eine Nachricht für ihn hinterlassen, ich richte sie ihm beim Mittagessen aus, wenn er dann wach ist.«
    »Ich soll ihn aber fragen, welche Arznei gegen ein schlappes Fußpferd hilft«, piepste Ellis verunsichert.
    »Wer hat Ihnen das aufgetragen? Ich wette, es war wieder dieser Nichtsnutz Babbington. Schämen Sie sich — so viele Wochen auf See und immer noch so naiv.«
    Die eigenartig bedrückte Stimmung hatte also noch nicht das Fähnrichslogis erreicht oder war schon wieder daraus verflogen. Wie abgesondert vom Rest der Besatzung doch die jungen Burschen lebten, sinnierte Stephen. Ihre Fröhlichkeit hing nur selten von den gerade herrschenden Umständen ab. Darüber fiel ihm seine eigene Jugend ein — die intensiv erlebte Gegenwart — das Glück des Augenblicks, nicht das der Erinnerung oder des heimlichen Genusses —, bis die Bootsmannspfeife zum Mittagessen schrillte, worauf sich sein leerer Magen sofort schmerzhaft verkrampfte. Ich habe mich zu einem Marinetier entwickelt, dachte er und schwang die Beine aus der Koje.
    Dies waren die fetten Tage des Reisebeginns: Noch stand Weißbrot auf dem Tisch und dazu ein stattlicher Hammelrücken, den Dillon, unter die Decksbalken gebückt, gerade aufschnitt. Er sagte: »Wenn Sie hinaufgehen, Doktor, werden Sie das Schiff wunderbar verwandelt finden. Wir sind keine Brigg mehr, sondern eine Schnau.«
    »Mit einem zusätzlichen Mast.« Der Master hielt drei Finger in die Höhe.
    »Tatsächlich?« Eifrig reichte Stephen seinen Teller weiter. »Wozu dient er? Der Schnelligkeit, der Seetüchtigkeit oder der Bequemlichkeit?«
    »Der Täuschung des Feindes.«
    Mit Gesprächen über die Kriegskunst, über die jeweiligen Vorzüge von Mahón- oder Cheshirekäse und über die erstaunliche Tiefe des Mittelmeers so dicht unter Land verging die Mahlzeit. Wieder einmal fiel Stephen die überraschende Gewandtheit auf (zweifellos erworben in vielen Dienstjahren auf See und ererbt von Generationen zusammengepferchter Matrosen), mit der selbst ein so ungehobelter Mann wie der Zahlmeister dazu beitrug, daß die Unterhaltung niemals versiegte, daß sie glatt über Abneigungen und Spannungen hinwegglitt — oft mit Platitüden, aber immer mit genug Verve, um die Mahlzeit nicht nur erträglich, sondern fast angenehm zu gestalten.
    »Vorsicht, Doktor«, sagte der Master auf der Treppe und stützte ihn von hinten. »Sie fängt an zu rollen.«
    Das stimmte; obwohl das Deck der Sophie nur wenig höher lag als die Offiziersmesse, waren die Schiffsbewegungen hier oben viel stärker zu spüren. Stephen schwankte, griff haltsuchend nach einer Relingsstütze und blickte sich erwartungsvoll um.
    »Wo ist denn nun diese

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