Kurs auf Spaniens Kueste
später nahmen sie wieder Fahrt auf und schlängelten sich schräg zum Seegang durch den peitschenden Regen, mit halbem Wind segelnd. Auf diesem Kurs beschrieb der Bugspriet Spiralen wie ein Korkenzieher. Obwohl sie fast sofort die Bramsegel weggenommen hatten, war die Tartane nach einer halben Stunde weit zurückgefallen. Stephen stand an der Heckreling und starrte ins Kielwasser, in Gedanken tausend Meilen weit entfernt; da merkte er, daß ihn jemand leise an den Rockschößen zupfte. Es war Mowett. Lächelnd zeigte er auf Ellis, der auf Händen und Knien vor dem Schanzkleid lag und verzweifelt, aber sorgsam gezielt durch ein kleines viereckiges Loch darin kotzte: das Speigatt.
»Sir, Sir«, mahnte Mowett, »Sie werden naß.«
»Ja«, murmelte Stephen, »vom Regen.«
»Ganz recht, Sir. Möchten Sie nicht lieber unter Deck ins Trockene gehen? Oder soll ich Ihnen eine Öljacke bringen?«
»Nein, nein, nicht nötig. Sehr freundlich. Danke ...« Stephens Geist weilte immer noch anderswo.
Mowett merkte, daß er mit dem ersten Teil seiner Mission abgeblitzt war, und machte sich mit unerschütterlicher Heiterkeit an den zweiten: Stephens zerstreutes Pfeifen zu unterbinden, das den Leuten auf Hütten- und Achterdeck — eigentlich der gesamten Crew — so auf die Nerven ging. »Darf ich Ihnen wieder etwas Nautisches erklären, Sir?« fragte er vorsichtig. »Hören Sie das Artilleriefeuer?«
Stephens gespitzte Lippen glätteten sich. »Gern.«
»Also hier, Sir«, Mowett zeigte über die graue, zischende See zu seiner Rechten in die ungefähre Richtung von Barcelona, »hier haben wir das, was wir eine Leeküste nennen.«
»Tatsächlich?« In Stephens Blick glomm ein gewisses Interesse auf. »Das Phänomen, das Sie so sehr verabscheuen? Es ist nicht nur ein Vorurteil, ein traditioneller Aberglaube?«
»O nein, Sir«, rief Mowett aus und begann zu erklären: die Abdrift nach Lee, den Verlust an Luvraum beim Uberstaggehen, das Unvermögen, bei Starkwind zu wenden, die Zwangslage, die sich daraus ergab, wenn ein Schiff bei Sturm und auflandigem Wind zu nahe an die Küste geriet — kurz den ganzen heillosen Schrecken einer solchen Situation.
Seine Ausführungen wurden vom Donner der fernen Kanonen untermalt, der manchmal eine halbe Minute lang ununterbrochen grollte und dann wieder scharf und abgehackt krachte. »Oh, wenn ich doch wüßte, was dort passiert!« rief Mowett, sich selbst unterbrechend. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und reckte den Hals.
»Sie haben nichts zu befürchten«, beruhigte ihn Stephen. »Bald wird der Wind aus der gleichen Richtung wehen, aus der die Wellen kommen — um den Michaelistag haben wir das öfter. Wenn man doch nur die Reben mit einem großen Schirm schützen könnte.«
Mowett war nicht der einzige, den das Artilleriefeuer beschäftigte. Sophies Kommandant und ihr Erster Offizier, beide dürstend nach dem Lärminferno und der befreienden Eruption der Schlacht, standen auf dem Achterdeck, äußerlich nebeneinander, aber innerlich meilenweit voneinander entfernt, und richteten all ihre Sinne nach Nordosten. Ebenso gespannt war fast die gesamte Besatzung der Sophie . Und jener der Felipe V , eines spanischen Freibeuters von sieben Kanonen, ging es nicht anders.
Er brach durch die dunkle Regenwand, die etwas achterlicher als querab jede Sicht auf die Küste versperrte, und preschte unter Vollzeug in Richtung des Artillerieduells. Beide Schiffe entdeckten einander im selben Augenblick: Die Felipe feuerte, setzte ihre Flagge, bekam die Quittung aus Sophies Breitseite, erkannte ihren Irrtum, legte hart Ruder und strebte geradewegs nach Barcelona zurück; im stürmischen achterlichen Wind bauchten sich ihre riesigen Lateinersegel, während ihr Rumpf wild über die Seen rollte.
In der nächsten Sekunde drehte auch die Sophie . Die Mündungspfropfen ihrer Steuerbordkanonen flogen heraus, gewölbte Hände schützten die zischenden Lunten und das Zündkraut auf den Pfannen.
»Zielt auf ihr Heck!« rief Jack. Handspaken und Keile drehten die Rohre um fünf Grad herum. »In der Aufwärtsbewegung! Feuer frei!« Er ließ das Rad um zwei Speichen aufkommen, und die Kanonen krachten, erst drei, dann vier. Sofort gierte der Freibeuter, als wolle er sie angreifen, aber dann sank sein killendes Besansegel an Deck, sein Lateinersegel füllte sich wieder, und er zog vor dem Wind davon. Eine Kugel hatte den Ruderkopf getroffen, deshalb konnte er achtern kein Segel mehr tragen. Sie versuchten, mit
Weitere Kostenlose Bücher