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Kurs auf Spaniens Kueste

Kurs auf Spaniens Kueste

Titel: Kurs auf Spaniens Kueste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick O'Brian
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wunderbare Verwandlung?« rief er aus. »Wo der dritte Mast, der den Feind täuschen soll? Und worin liegt das Vergnügen, worin der Witz, einen Landmenschen zum allgemeinen Gespött zu machen? Bei meiner Ehre, Mr. Witzbold, jeder biersabbernde Dorftrottel wäre taktvoller gewesen! Ist Ihnen nicht klar, daß dieses Treiben höchst verwerflich ist?«
    »Oh, oh, Sir«, rief Mr. Marshall, entsetzt über die plötzliche heiße Wut in Stephens Blick, »auf mein Wort ... Mr. Dillon, ich flehe Sie an ...«
    »Lieber Bordkamerad, beruhigen Sie sich.« James führte Stephen zum Großmast und zeigte ihm die armdicke Trosse dahinter, die im Abstand von sechs Zoll parallel dazu nach oben führte. »Lassen Sie mich Ihnen versichern, daß dies fürs Auge eines Seemanns ein dritter Mast ist. Sehr bald werden Sie erleben, daß ein ganz ähnlicher Lappen wie unser altes Gaffelsegel daran gesetzt wird, zusammen mit einem Kreuzsegel an der Rah über unseren Köpfen. Kein Seemann würde uns draußen noch für eine Brigg halten.«
    »Na ja«, sagte Stephen, »ich muß Ihnen wohl glauben. Mr. Marshall, vergeben Sie mir meine übereilten Worte.«
    »Ach, Sir, da müßten Sie schon ganz anders vom Leder ziehen, um mich zu treffen«, antwortete der Master im Bewußtsein, daß er Stephens Sympathie besaß, was er auch zu schätzen wußte. »Es sieht so aus, als hätten sie unten im Süden Sturm gehabt«, setzte er mit einem Blick über die Reling hinzu.
    Von der fernen Küste Afrikas lief ein langer Schwell, den die kleinen Windwellen zwar kaschierten, der sich aber im starken Heben und Senken des Horizonts offenbarte. Stephen konnte sich sehr gut vorstellen, wie die in langen, gleichmäßigen Intervallen anrollenden Seen weißschäumend an den Felsen der katalanischen Küste brachen, wie sie zischend über den Kiesstrand liefen und knirschend, mit gewaltigem Sog, wieder zurückströmten. »Hoffentlich bekommen wir keinen Regen«, sagte er. Denn unzählige Male hatte er im Frühherbst erlebt, wie diese eben noch ruhige See anschwoll, wie starker Südostwind aufkam und aus einem niedrigen, gelblichen Himmel warme Regengüsse auf die Reben prasselten, die gerade reif für die Lese gewesen waren.
    »Segel in Sicht!« kam ein Ruf aus dem Masttopp.
    Eine mittelgroße Tartane, tief weggeladen, kreuzte zwei Strich an Backbord voraus gegen den frischen Ostwind auf, offenbar aus Barcelona kommend.
    »Wie gut, daß sie uns nicht schon vor einer Stunde begegnet ist«, sagte James in Gedanken an ihre Tarnung. »Mr. Pullings, eine Empfehlung an den Kommandanten, und wir haben ein fremdes Segel zwei Strich an Backbord voraus.«
    Aber noch bevor er zu Ende gesprochen hatte, erschien Jack an Deck, eine vergessene Schreibfeder in der Hand, einen kalten Glanz in den Augen.
    »Seien Sie so freundlich ...« Er reichte Stephen die Feder und kletterte behende wie ein Kadett in die Takelage. An Deck herrschte Hochbetrieb: Die Gerätschaften des morgendlichen Reinemachens wurden weggeräumt und die Segel verstohlen auf den neuen Kurs eingestellt, um der Tartane den Fluchtweg zum Land abzuschneiden; Matrosen rannten mit schweren Lasten umher, und nachdem Stephen mit: »Erlauben Sie, Sir!« und: »Aus dem Weg — oh, pardon, Sir!« zwei-, dreimal angerempelt worden war, resignierte er und verschwand in der Kajüte, ließ sich auf Jacks Heckbank nieder und begann, über die Charakteristika einer Gemeinschaft nachzudenken, über ihre Erscheinungsformen, ihre innere Kommunikation und die Tatsache, daß sie sich als Ganzes deutlich unterschied von den Individuen, aus denen sie bestand.
    »Ach, hier sind Sie!« rief Jack bei seiner Rückkehr. »Ich fürchte, sie ist nur ein ordinärer Frachtkahn. Ich hatte auf etwas Besseres gehofft.«
    »Rechnen Sie damit, sie abzufangen?«
    »O ja, das werden wir wohl, selbst wenn sie sofort wenden sollte. Aber ich hatte so sehr auf einen großen Coup gehofft. Ich kann Ihnen gar nicht beschreiben, wie so etwas den Geist belebt — Ihre Blutegel und Aderlässe sind nichts dagegen ... Sagen Sie, wollen wir heute abend ein bißchen musizieren, falls nichts dazwischenkommt?«
    »Mit dem größten Vergnügen.« Als Stephen Jack so vor sich sah, konnte er sich zum ersten Mal vorstellen, wie er sein würde, wenn das Feuer seiner Jugend erst erloschen war: beleibt, ergraut und autoritär, wenn nicht sogar herrschsüchtig und vergrämt.
    »Also gut.« Jack zögerte, als hätte er noch viel mehr auf dem Herzen. Doch dann drehte er sich um und ging

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