Kurs auf Spaniens Kueste
Zeit verschwendet hatte. Ganze Landstriche von riesenhafter Ausdehnung, allem Anschein nach völlig unberührt seit Willoughby und Ray, sind dort der Wissenschaft entgangen. Wie Sie sich bestimmt erinnern werden, hatte der spanische König den Schweden Linné zu einem Besuch eingeladen und ihm volle Religionsfreiheit garantiert, doch der Botaniker lehnte ab. Und da lagen all diese unerschlossenen Schätze der Flora vor mir — aber ich ignorierte sie. Man denke, was Pallas, was der gelehrte Solander oder die Gmelins, Vater und Sohn, an meiner Stelle geleistet hätten! Deshalb habe ich jetzt die erste Gelegenheit wahrgenommen und gleich zugestimmt, den alten Mr. Browne zu begleiten. Gewiß, Menorca ist nicht das Festland, aber andererseits hat ein so großes Kalksteinterrain seine eigene faszinierende Flora, ganz zu schweigen von den Phänomenen, die sich aus seiner interessanten Morphologie ergeben.«
»Mr. Brown, der Marineoffizier von der Werft?« rief Jack aus. »Ich kenne ihn gut. Ein glänzender Gesellschafter, singt für sein Leben gern und schreibt auch nette kleine Lieder.«
»Nein. Mein Patient starb auf See, und wir bestatteten ihn oben bei St. Philip. Armer Kerl, war im letzten Stadium der Schwindsucht. Ich hatte gehofft, ihn noch bis Spanien durchbringen zu können — Luftveränderung wirkt in solchen Fällen manchmal Wunder —, aber als ich mit Mr. Florey die Leiche öffnete, fanden wir eine so große ... Kurz, es stellte sich heraus, daß seine Ärzte — die besten in ganz Dublin — viel zu optimistisch gewesen waren.«
»Sie haben ihn aufgeschnitten?« Jack schob seinen Teller von sich weg.
»Ja. Wir hielten es für das beste, schon um seine Freunde zu beruhigen. Aber ich muß sagen, sie scheinen den Verlust mit erstaunlicher Fassung zu tragen. Schon vor Wochen habe ich an den einzigen Verwandten geschrieben, den ich kenne, einen Gentleman in der Grafschaft Fermanagh. Leider habe ich noch kein Sterbenswörtchen von ihm gehört.«
Eine Pause entstand. Jack füllte die Gläser nach (wie schnell doch Ebbe und Flut darin wechselten) und bemerkte schließlich: »Hätte ich gewußt, daß Sie Chirurg sind, Sir ... Ich hätte wohl kaum der Versuchung widerstehen können, Sie anzuwerben.«
»Chirurgen sind tüchtige Burschen«, meinte Stephen Maturin mit einem Hauch Schärfe. »Und weiß Gott unentbehrlich für uns. Ich darf wohl annehmen, daß es Ihr Erstaunen und Ihre Bewunderung erregt hätte, wie geschickt, schnell und präzise Mr. Florey im hiesigen Hospital Mr. Brownes Bronchien seziert hat. Dennoch habe ich nicht die Ehre, Sir, diesem Berufsstand anzugehören. Ich bin Internist.«
»Bitte um Vergebung, Sir. Was für ein blamabler Irrtum! Trotzdem, Doktor — ich fürchte, ich hätte Sie an Bord geschleppt und unter Deck eingesperrt, bis wir auf hoher See waren. Meine arme Sophie hat nämlich keinen Schiffsarzt, und es ist auch ganz unwahrscheinlich, daß ich hier einen auftreibe. Kommen Sie, Doktor, könnten Sie sich nicht doch für die Seefahrt erwärmen? Ein Kriegsschiff ist ein Eldorado für einen Philosophen, besonders im Mittelmeer: Da gibt es Vögel, Fische — ich kann Ihnen die monströsesten, seltensten Fische versprechen — und großartige Naturerscheinungen, Meteore, Prisengeld ... Selbst ein Aristoteles hätte sich gewiß von der Aussicht auf Prisengeld verlocken lassen. Golddublonen, Sir, in weichen Lederbeuteln — etwa von dieser Größe —, und sie liegen so köstlich schwer in der Hand. Zwei davon sind das Höchste, was ein kräftiger Mann tragen kann.«
Jack hatte in scherzendem Ton gesprochen, denn es wäre ihm nie im Traum eingefallen, mit einer ernsthaften Antwort zu rechnen. Doch zu seinem Erstaunen hörte er den Doktor sagen: »Aber ich bin für einen Schiffsarzt in keiner Hinsicht qualifiziert! Gewiß, ich habe in der Anatomie häufig seziert, und auch die geläufigsten chirurgischen Eingriffe sind mir nicht unbekannt. Aber ich weiß nichts über Hygiene an Bord oder über die typischen Krankheiten der Seeleute ...«
»Gütiger Gott«, rief Jack, »verschwenden Sie bloß keine Skrupel an solche Bagatellen! Wenn ich daran denke, was uns sonst an Bord geschickt wird — Feldscher, Barbiere, unbedarfte Lehrlinge, die gerade lange genug in einer Apotheke herumgestolpert sind, um von der Marine ihre Zulassung zu kriegen. Die verstehen nicht das geringste von Chirurgie, geschweige denn von innerer Medizin. Das meiste lernen sie erst unterwegs an den armen Matrosen. Ihre
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