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Kurs auf Spaniens Kueste

Kurs auf Spaniens Kueste

Titel: Kurs auf Spaniens Kueste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick O'Brian
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klug die Augen vor dem, was er nicht sehen sollte: das Stück Speck, das eine pfiffige Vorschiffskatze hinter einer Pütz hervorzerrte; die Frauen, die, von den Bootsmannsgehilfen in der Segellast versteckt, neugierig über die Tuchberge schielten; er ignorierte die Ziege hinter dem vorderen Waschbord, die ihn aus ihren teuflischen Pupillenschlitzen herausfordernd anstarrte und das Deck absichtsvoll beschmutzte; ebenso übersah er die undefinierbare, an einen Pudding erinnernde Masse, die jemand in der Panik der letzten Minute hinter die Bugsprietzurring gestopft hatte.
    Dabei besaß Jack einen sehr scharfen, professionellen Blick — schließlich fuhr er offiziell seit seinem neunten und tatsächlich seit seinem zwölften Lebensjahr zur See —, und dieser Blick registrierte eine Vielzahl anderer Eindrücke. Der Segelmeister war ganz anders, als er erwartet hatte: ein großer, gutaussehender, tüchtiger Mann mittleren Alters — die Schnapsdrossel Baldick mußte da einiges mißverstanden haben. Den Charakter des Bootsmanns konnte Jack vom Rigg ablesen: vorsichtig, solide, gewissenhaft und traditionell. Zahlmeister und Stückmeister wirkten unauffällig, wobei letzterer offenbar zu krank war, um sich von seiner besten Seite zu zeigen, und sich auf halbem Weg heimlich verdrückte. Die Fähnriche fand Jack brauchbarer als erwartet: auf Briggs und Kuttern waren ihresgleichen oft ein ziemlich jämmerlicher Haufen. Nur dieses Kind namens Babbington ließ man besser in den Kleidern, die es trug, nicht an Land; seine Mutter mußte mit einem Wachstum gerechnet haben, das ausgeblieben war, und allein schon der Hut deckte das Kerlchen so lächerlich zu, daß es das Schiff zum Gespött gemacht hätte.
    Jacks Haupteindruck war der einer soliden Betulichkeit. Die Sophie wirkte irgendwie altmodisch, als hätte sie ihr Unterwasserschiff lieber mit Nägeln beschlagen als mit Kupferblech und ihre Bordwände lieber geteert als mit Farbe gestrichen. Ihre Besatzung — die eigentlich gar nicht so alt, sondern im Durchschnitt um die Zwanzig war — sah ebenfalls altmodisch aus; einige trugen Kniehosen und Schuhe aus Öltuch, was schon seit Jahrzehnten aus der Mode war. Doch die Männer bewegten sich behende und entspannt, stellte er fest; sie schienen recht neugierig zu sein, aber nicht im geringsten aufsässig, verbittert oder kriecherisch. Jawohl: Die Sophie war altmodisch. Zwar liebte er sie schon aufrichtig — hatte sie sofort geliebt, als er mit den Augen zum ersten Mal ihre sanft geschwungenen Deckslinien gestreichelt hatte —, aber sein Verstand sagte ihm, daß sie ein langsames Schiff war, ein altes Schiff und eines, mit dem er kaum sein Glück machen konnte. Unter seinem Vorgänger hatte sie sich in einigen Gefechten achtbar geschlagen, einmal sogar gegen einen französischen Freibeuter aus Toulon, ein Vollschiff von zwanzig Kanonen. Ein andermal hatte sie bei Flaute in der Straße von Gibraltar ihren Konvoi erfolgreich gegen einen Schwarm bewaffneter Galeeren aus Algeciras verteidigt. Aber soweit er feststellen konnte, hatte sie niemals eine Prise von größerem Wert erobert.
    Sie standen wieder vor dem Aufbau des seltsamen kleinen Achterkastells, und Jack trat mit eingezogenem Kopf in seine Kajüte. Gebückt ging er zur Truhenbank unter den Fenstern, die das Heck in seiner ganzen Breite einnahmen und einen elegant geschweiften Rahmen für das Panorama des Hafens von Mahón bildeten; wie eine Vedute von Canaletto leuchtete es in der lautlosen Mittagssonne und schien einer anderen Welt anzugehören. Jack setzte sich mit einer vorsichtigen seitlichen Bewegung, merkte, daß er sich ohne Probleme wieder aufrichten konnte — die Kopffreiheit im Sitzen betrug gut vier Spannen —, und sagte: »Das wär’s also, Mr. Marshall. Ich kann Ihnen zum Zustand der Sophie nur gratulieren. Sehr ordentlich, sehr shipshape.« So weit glaubte er gehen zu können, falls er sich eines offiziellen Tons befleißigte, weiter aber nicht. Mehr Lob würden sie von ihm nicht zu hören bekommen, wie er auch keine Rede an die Besatzung halten oder einen Umtrunk ausgeben würde, um seinen Dienstantritt zu feiern. Nichts war ihm mehr zuwider als ein sich anbiedernder Kommandant.
    »Danke, Captain«, sagte der Master.
    »Ich gehe jetzt an Land, werde aber natürlich an Bord übernachten. Bitte schicken Sie deshalb ein Boot um meine Seekiste und das andere Gepäck. Ich bin in der Crown abgestiegen.«
    Jack blieb noch eine Weile sitzen, um den Komfort seiner

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