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Kurs auf Spaniens Kueste

Kurs auf Spaniens Kueste

Titel: Kurs auf Spaniens Kueste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick O'Brian
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ihrem immer länger werdenden Kielwasser mit den Augen folgend. Nach dem gespannten Warten auf die ominösen Breitseiten und der Sorge, was sie seiner Sophie antun könnten, hatte er immer noch Herzklopfen, aber sein Puls schlug jetzt mit einer neuen Dringlichkeit. Wir könnten's geschafft haben, wiederholte er. Aber kaum hatte er das gedacht, sah er ein neues Signal auf dem Flaggschiff auswehen, und die Desaix begann anzuluven.
    Der Vierundsiebziger wendete so schnell wie eine Fregatte. All seine Rahen schwangen gleichzeitig und so regelmäßig herum wie ein Uhrwerk, alle Leinen wurden so zügig gefiert oder belegt, wie das nur eine zahlenmäßig starke und erstklassig ausgebildete Besatzung bewerkstelligen konnte. Zwar besaß auch die Sophie eine exzellente Crew, so aufmerksam und geschickt, wie Jack es sich nur wünschen konnte; aber selbst größte Kompetenz konnte die Slup nicht dazu bringen, bei diesem Wind schneller als sieben Knoten zu segeln. Die Desaix dagegen beschleunigte nach einer weiteren Viertelstunde schon auf acht Knoten, und das ohne ihre Leesegel. Sie machte sich gar nicht erst die Mühe, sie zu setzen. Als die Sophies das sahen, als mit jeder Minute klarer wurde, daß der Gegner auf diese Hilfe verzichten konnte, begann sie der Mut zu verlassen.
    Jack blickte zum Himmel auf. Grenzenlos weit und gleichgültig dehnte er sich über ihm, gesprenkelt mit einigen weißen Wölkchen: Der Wind würde also nachmittags nicht einschlafen. Und die Nacht ließ noch viele Stunden auf sich warten.
    Aber wie viele genau? Er blickte auf seine Uhr: vierzehn Minuten nach zehn. »Mr. Dalziel«, sagte er, »ich gehe in meine Kajüte. Rufen Sie mich bei der geringsten Veränderung. Mr. Richards, richten Sie bitte Dr. Maturin aus, daß ich ihn sprechen möchte. Mr. Watt, besorgen Sie mir ein paar Faden Logleine und drei oder vier Belegnägel.«
    In der Kajüte schnürte er ein Päckchen aus seinem in Bleiblech eingebundenen Logbuch und anderen Geheimpapieren, steckte die kupfernen Belegnägel in den Postsack und band ihn fest zu. Dann ließ er sich seinen besten Uniformrock bringen und steckte seine Bestallung in die Innentasche. Stephen trat ein. »Da sind Sie ja, mein Bester«, sagte er. »Also, ich fürchte, daß wir innerhalb der nächsten halben Stunde versenkt oder erobert werden, falls nicht noch ein Wunder geschieht.« Stephen nickte, und Jack fuhr im gleichen Ton fort: »Wenn Sie also etwas von besonderem Wert besitzen, wäre es vielleicht klug, mir das anzuvertrauen.«
    »Heißt das, sie rauben ihre Gefangenen aus?«
    »Manchmal, ja. Ich wurde nackt ausgezogen, als die Leander kapitulieren mußte, und unserem Bordarzt stahlen sie die Instrumente, bevor er unsere Verwundeten versorgen konnte.«
    »Dann hole ich jetzt sofort meine Instrumententasche.«
    »Und Ihre Geldbörse.«
    »Na gut, auch meine Börse.«
    Jack eilte an Deck zurück und spähte achteraus. Es war unglaublich, um wieviel der Vierundsiebziger in der kurzen Zeit näher gekommen war. »An Ausguck!« rief er. »Was ist in Sicht?«
    Sieben Linienschiffe direkt voraus? Die halbe Mittelmeerflotte des Gegners? »Kein anderes feindliches Schiff«, antwortete der Ausguckposten zögernd und nach einer gewissenhaften Pause.
    »Mr. Dalziel, sollte mir etwas zustoßen, dann geht das hier über Bord«, sagte Jack und klopfte auf das Päckchen und den Postsack. »Natürlich erst im letzten Moment.«
    Schon wurden die sonst so starr festgelegten Bewegungsabläufe auf der Sophie deutlich flüssiger. Die Leute blieben ruhig und aufmerksam; die Sanduhr wurde pünktlich umgedreht, und um vier Glasen der Nachmittagswache schlug die Glocke so präzise wie immer. Und doch war ein häufigeres Kommen und Gehen durch den Vorschiffsniedergang zu beobachten, das für diesmal ungerügt blieb: Die Leute zogen ihre besten Kleider an (zwei oder drei Westen übereinander und das Landgangsjackett darüber), baten ihre Vorgesetzten, sich ihres Ersparten oder anderer kurioser Schätze anzunehmen, in der eitlen Hoffnung, sie damit retten zu können — Babbington brachte einen geschnitzten Walzahn an und Lucock den getrockneten Penis eines sizilianischen Bullen. Zwei Männer hatten es schon geschafft, sich einen Rausch anzutrinken — zweifellos mit eifersüchtig gehüteten Vorräten.
    Warum schießen sie nicht? fragte sich Jack. Denn die Bugkanonen der Desaix schwiegen schon zwanzig Minuten, obwohl sich die Sophie seit der letzten Meile in ihrer Reichweite befand; inzwischen

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