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Kurs Minosmond

Kurs Minosmond

Titel: Kurs Minosmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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gegen das Sterben!“
    Als sie draußen waren, rief Dr. Hasgruber vergnügt: „Und jetzt zeig ich euch etwas noch Sensationelleres. Aber nur durch die Scheibe.“
    Sie mußten wieder ein ganzes Stück laufen, Gänge entlang und Treppen hinauf und hinunter, und Pauline sagte: „Wenn ich denke, wie weit wir von Otto Mohr weggekommen sind, vom Schlimmen zum Guten, dann ist mir fröhlich zumute.“
    „Ich habe das noch nicht im Zusammenhang durchdacht“, sagte der Arzt, „vielleicht besteht da wirklich einer. Vielleicht so – die Selbstheiler beeinflussen ihren Körper absichtlich und die Pseudoselbstmörder unabsichtlich, aus Versehen. Ist. aber sehr vage, einem Ärztekollegium dürfte man damit nicht kommen. Manche Kollegen erkennen ja nicht einmal das Selbstheilertum an.“
    „Das gibt’s?“ Pauline staunte.
    „Und ob. Freilich nicht so einfach, wie ich das jetzt gesagt habe, zuerst wird differenziert, eingegrenzt auf das nicht Bestreitbare, und dann wird alles verdonnert, was über diese engen Grenzen hinausgeht. Aber Streit muß sein. Jedenfalls besser als blinder Glauben einerseits und Leichtfertigkeit auf der andern Seite. Trotzdem – die ungeheuren Perspektiven sind da. Mich macht das auch froh. Wir Ärzte werden schon nicht überflüssig werden. – Hier sind wir.“
    Sie sahen durch eine Glasscheibe in einen Raum, der wie ein Wartezimmer beim Ausbruch einer Grippewelle aussah – Leute saßen herum, standen und gingen auf und ab. Bei näherem Hinsehen bemerkte man, daß sie nicht warteten: Niemand las Zeitung, niemand unterhielt sich, jeder machte einen irgendwie geistesabwesenden Eindruck. Oder einen sehr konzentrierten, was ja kaum davon zu unterscheiden ist. Es waren also offenbar auch Selbstheiler, und die Glasscheibe, die sie von ihnen trennte, deutete wohl auf eine Infektionskrankheit hin. Aber was für eine?
    „Die Leute“, sagte Dr. Hasgruber, und seine Stimme klang fast ein wenig ergriffen, „die Leute heilen die unausrottbarste aller menschlichen Krankheiten aus – den Schnupfen!“
    Pauline und Wenzel dachten beide das gleiche. Schnupfen – na ja. Doch dann wurde ihnen klar, daß das hier wirklich nicht weniger bedeutend war als die nachwachsende Hand. Offensichtlich ließen sich die neuen, noch unbekannten Kräfte oder Fähigkeiten des Gehirns auf die verschiedenen Teilsysteme des Körpers richten…, und vielleicht nicht nur des Körpers…
    „Eins möcht ich doch wissen“, sagte Pauline, „warum machen die Leute das nicht zu Hause, ist doch viel bequemer?“
    Dr. Hasgruber zögerte. „Einmal wegen der ärztlichen Aufsicht“, sagte er dann. „Wir versuchen, alle Selbstheiler in unserm Bereich zu erfassen und dazu zu bewegen, daß sie das hier tun. Es treten immer wieder, vor allem bei Anfängern, psychische Erschöpfungszustände auf. Zum andern aber – das ist unbewiesen, doch für viele Teilnehmer ein sehr deutliches Gefühl: Es scheint im Kollektiv besser zu gehen.“
    „Wie lange dauert das?“ fragte nun Wenzel.
    „Die Heilung? Sie brauchen ungefähr eine Stunde, dann ist der Schnupfen weg. Und kommt auch im nächsten halben Jahr nicht wieder.“
    Wenzel bewegte längst ein anderer Gedanke. Das alles, was er in den letzten Wochen kennengelernt hatte, war ihm vorher zum größten Teil unbekannt gewesen. Und dabei gehörte er infolge seines Dienstes zu den am meisten informierten Leuten. Wer hatte eigentlich noch einen Überblick über die Prozesse, die sich in der menschlichen Gesellschaft vollzogen? Gewiß kein einzelner, das nicht, aber wohl auch keine Institution. Oder? Entglitt das Schicksal der Menschheit, nachdem sie endlich ihre Angelegenheiten in Ordnung gebracht hatte, den Händen der Menschen? Vertrauten sie zu sehr auf die Stabilität? Was gab es noch alles, was vielleicht nur der unmittelbaren Umgebung oder einigen Fachleuten bekannt war?
    Auf dem Weg zurück ins Dienstzimmer wurde Dr. Hasgruber von einem Kollegen aufgehalten.
    „Kann man denn da wirklich nichts machen?“ schimpfte der. „Schon wieder zwei von diesen ‚Flattermännern‘ mit Knochenbrüchen!“
    „Das wäre vielleicht auch etwas für Sie“, sagte Hasgruber im Weitergehen. „Ja, Donnerwetter, wenn ich es mir recht überlege…“
    „Diese Flattermänner? Was ist das?“
    „Ein Spitzname. Es ist so eine Art Sekte, ich weiß nicht, wie ich es sonst nennen soll. Sie bilden sich ein, sie könnten fliegen. So, mit Armeschwingen, wie Kinder. Es ist natürlich noch nie einem geglückt, aber

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