Kurs Minosmond
Sibylle mit plötzlich ganz klarer Stimme, „kommen Sie hierher. Ich weiß jetzt wieder.“
„Ja?“ Er setzte sich zu ihr.
„Ich habe Geige gespielt, bin auch so hin und her gelaufen, auch vor dem Raumteiler stehengeblieben, und…“ Wenzel wartete geduldig.
Als sie endlich sprach, tat sie es mit leiser Stimme, so als zögere sie, sich selbst zu glauben. „Und das singende Glas – hat geschrien.“
Direkter Kontakt zwischen einem Flugkörper im venusnahen Raum und einer Venusstation ist eins der technisch und navigatorisch schwierigsten Probleme. Der Flugkörper kann ja nicht landen oder wassern, da die Station in der Atmosphäre schwebt; man könnte sagen, er muß „luften“. Er hat seine Bahngeschwindigkeit, die nach Kilometersekunden mißt, zu senken auf die Umlaufgeschwindigkeit der Station gleich Windgeschwindigkeit, ihm steht aber nicht die Schirmbremsung in den dichteren Schichten der Atmosphäre zur Verfügung. Und er darf wenigstens auf den letzten zehn, zwanzig Kilometern nicht mehr die Triebwerke benutzen, damit keine Turbulenzen entstehen, die der Station schaden könnten. Und dann muß er in möglichst kleinem Abstand von der Station in der Luft stehenbleiben, was nur durch Auflassen von riesigen Heliumballons erreicht werden kann; denn der Flugkörper – in diesem Fall die Kontaktfähre – ist ja bei aller Leichtbauweise ein ziemlich massives Ding, das außerdem noch den Treibstoff für den Rückstart zum Raumschiff in seinen Tanks hat.
Eine komplizierte Angelegenheit also, und Ruben überließ darum das „Luften“ den Besatzungsangehörigen, die das schon öfter getan hatten.
Bis auf die außerordentlich heftige Bremsung gleich zu Beginn verlief rein äußerlich alles wie bei einer Landung auf der Erde. Die Erhitzungsperiode war kürzer, weil vorher stärker gebremst worden war, dann kam noch eine Bremsung mit Antrieb, danach wurden die Schirme für die Hochatmosphäre entfaltet, der Himmel färbte sich violett, die Sterne verblaßten, dann wurde er blau – nur hinuntergucken durfte man nicht, das Weiß blendete so stark, daß ungeschützte Augen schmerzten.
„Achtung, anschnallen!“ sagte der steuernde Kosmonaut, „jetzt wird’s ungemütlich, wir kommen gleich in die Windzone.“
Diese Zone in etwa achtzig Kilometer Höhe über dem Venusboden, in der der Wind mit der immerhin beachtlichen Geschwindigkeit von dreihundertsechzig Stundenkilometern immer rund um den Planeten wehte, flogen sie gegen die Windrichtung an, das bot ihnen die stärkste natürliche Bremsung, die zu erreichen war, aber es brachte auch in der Übergangsschicht außerordentlich heftiges Rütteln und Schütteln mit sich, und wenn die Schirmfläche nicht rechtzeitig vorher verkleinert worden wäre, hätten die Schirme wohl auch nicht dem Druck standgehalten.
Hier war die Navigation schwierig. Zwar lag die Fähre, einmal in die Luftströmung eingetaucht, ganz ruhig, doch der Navigator mußte nun schon Ballons auflassen, um die Sinkgeschwindigkeit steuern zu können. Sie würden zu dem Zeitpunkt die Windzone verlassen und in die oberste Wolkenschicht eintauchen, wenn ihre Relativgeschwindigkeit zur Station gleich Null war: Jetzt! Noch einmal Rütteln, dann ein Bündel Ballons hinaus. Für das Auge und das Gefühl war es schon erholsam, daß nun unten wieder unten und der Himmel oben war. Dafür knisterte es intensiv, und das hörte sich geradezu gefährlich an, war aber harmlos – die Eiskristalle der dünnen oberen Wolkenschicht rieben sich an den Ballons.
Der Himmel war unterhalb dieser Schicht fast von irdischer Bläue, und was noch schöner war: Die Wolkenschicht unter ihnen blendete nicht mehr, sondern leuchtete nur noch weiß, hier und da mit einem roten Schimmer. Hier sah alles sehr friedlich und vergnüglich aus, und es war kaum vorstellbar, welche Hölle sechzig Kilometer unter ihnen lag: Hitze und Druck von unvorstellbarer Höhe, ringsum rotes Licht, meßbar alles, aber nicht vorstellbar eben.
Und dann zischte es, ein Dutzend Ballons wurden gleichzeitig aufgeblasen, am Höhenmesser war zu erkennen, daß die Fähre jetzt in der Luft hing. Trotzdem hatte Ruben das Gefühl, sie sänken weiter, und er blickte zwei-, dreimal auf den Höhenmesser, was den anderen natürlich auffiel.
„Das ist der Gewichtsverlust auf der Venus“, sagte einer, „wir wiegen hier noch ungefähr achtzig Prozent, das bringt die sonderbarsten Illusionen hervor, ganz anders als Mond und Schwerelosigkeit. Wohl weil die
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