Kurs Minosmond
fraglichen Lebensalter der biologische Alternsprozeß bereits begonnen habe, die seelische Aktivität ihn jedoch erstens verlangsame und zweitens seine äußeren Anzeichen unterdrücke. Dennoch müsse es einen Umschaltpunkt oder vielmehr eine Umschaltphase von vier bis fünf Jahren geben, in der der Mensch besonders empfindlich, also auch sensibel im negativen Sinne sei, was sich unterschiedlich äußern könne, zum Beispiel auch in der zur Debatte stehenden Erscheinung.
Alles schön und gut, dachte Wenzel – aber hilft mir das bei meinem Antrag auf eine Umfrage? Immerhin, man könnte es versuchen; auch diese Artikel sprechen ja für eine Gefährdung unwissender Menschen. Ziel der Untersuchung müßte dann ein entsprechender Vorschlag an die Konrats sein, die Angelegenheit zur globalen Frage zu erklären, denn damit käme sie direkt in die Themenliste des Forschungsrates. Also mußte er jetzt die Begründung für die Umfrage formulieren.
Wenzel stand auf, er hatte die Flimmerscheibe jetzt satt. Drüben wartete Sibylle Mohr auf ihn, Pauline würde auch bald wieder aus der Kreisstadt zurückkommen, wohin er sie geschickt hatte, damit sie noch einmal den Kreisvorstand des Künstlerverbandes befragte.
Diese Sibylle Mohr war ein verdammt diszipliniertes Weib. Da hatte er zu ihr gesagt, er würde später kommen, und nun saß sie in ihrem Haus und wartete. Wie lange war das her? Anderthalb Stunden mindestens. Und auch sonst – wie sie sich beherrschte. Na ja, mußte sie wohl als Wissenschaftlerin. Wenzel wurde plötzlich bewußt, daß er von ihrem Dienst nicht die mindeste Vorstellung hatte; sie hatte nichts erzählt, und weder er noch die anderen hatten danach gefragt. Das war nicht gut, man durfte nicht so uninteressiert am anderen Menschen sein. Freilich auch nicht zu neugierig. Aber es würde sich schon eine Gelegenheit ergeben, und dann würde er sie fragen. Er war jetzt wirklich neugierig auf ihre Antwort.
Wenzel öffnete das Fenster. Von irgendwoher kamen Geigenklänge, es mochte wohl Sibylle sein, in Mohrs Haus, die sich die Wartezeit vertrieb. Also los, die Begründung skizzieren, und dann das Ganze über die Grapschkiste an den RR!
Eine halbe Stunde später hatte Wenzel den Text eingegeben, adressiert und als Bestätigung seine Hand auf die Identifexscheibe gelegt. Obwohl ihm klar war, daß dies nur der Anfang der Schreibtischarbeit gewesen war, fühlte er sich doch erst einmal erleichtert. Er trat aus der Tür, der Himmel war jetzt grau bezogen, aber das machte Wenzel nichts aus, die Luft war trotzdem frühlingshaft, er schlenderte zu Mohrs Haus hinüber. Ob sie wohl etwas erreicht hatte? Ob sie ihn wohl kommen sah durch das Fenster, das ihn sofort an jenes andere erinnerte, welches offengestanden hatte an jenem Morgen, der jetzt schon wie lange zurücklag? Fünf Tage? Ja, fünf Tage waren es wohl. Aber dieses Fenster war geschlossen, natürlich, was sonst, und ohne einen anderen Grund als den Gedanken an das Fenster und den Tod spürte Wenzel plötzlich Sorge. War es richtig, Sibylle Mohr da tagelang in diesem Haus allein zu lassen? Eigentlich unsinnig, die Fragestellung, und wohl nur hervorgekommen, weil die Unruhe nach rational Faßbarem suchte…
Als Wenzel in die Halle trat, sah er Sibylle Mohr am Boden liegen, neben dem Tisch, die Geige, ein kostbares Instrument, befand sich auf dem Tisch, den Bogen hatte die Frau noch in der Hand. Mit zwei, drei Sätzen war er bei ihr, kniete nieder, ja, sie atmete, nur das Gesicht war etwas bleich, eine Ohnmacht anscheinend, weiß der Himmel, für einen Sekundenbruchteil hatte er in einer fast abergläubischen Angst das Schlimmste befürchtet.
Er nahm sie vorsichtig auf die Arme und trug sie zu einem Sofa, das an der anderen Seite der Halle stand. Sie wurde wohl wach dabei oder halbwach, denn sie schlang ihm die Arme um den Hals, sicherlich, damit er sie besser tragen konnte, aber es war ihm nicht unangenehm. Vorsichtig legte er sie nieder.
Sie schlug die Augen auf. „Die Geige…?“
„Liegt unbeschädigt auf dem Tisch“, sagte Wenzel.
„Ich habe einen Schrei gehört“, flüsterte Sibylle, offensichtlich bemüht, sich zu erinnern, was geschehen war.
„Was für einen Schrei? Wer hat geschrien?“ fragte Wenzel behutsam. Sibylle antwortete nicht. Sie hatte die Augen jetzt geschlossen. Schlief sie? Wenzel ging ein paar Schritte hin und her, überlegte, blieb zufällig vor dem Raumteiler stehen.
„Kommen Sie, bleiben Sie da nicht stehen“, sagte da
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