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Kurs Minosmond

Kurs Minosmond

Titel: Kurs Minosmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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müssen. Ihr war nämlich eine Parallele eingefallen: Otto Mohrs Raumteiler und diese Translation beeinflußten beide die Psyche eines Menschen über Geräusche.
    „Ich möchte doch nicht“, sagte Elke Wichmann, „ich weiß letzten Endes nicht genau, ob das absolut unschädlich wäre für jemanden, der auf diese Dinge nicht trainiert ist.“
    „Gut“, stimmte Pauline zu, und sie sprach genauso friedlich und ohne jede Schärfe: „Sie senden bitte eine Kopie der Aufzeichnung an den Zweiten Gehilfen des RR, Berliner Büro, Berlin-Mitte, hier die Rohrpostnummer.“ Sie schrieb die Nummer auf einen Zettel und sagte dann zu der leicht erstaunten Computerspezialistin: „Würden Sie mir bitte noch zwei Fragen beantworten, auch wenn sie Ihnen vielleicht seltsam vorkommen? Bitte glauben Sie mir, daß sie wichtig sind im Rahmen einer allgemeinen Untersuchung!“
    „Ja gern.“
    „Wie alt sind Sie?“
    Elke Wichmann hob die Augenbrauen. „Einundsechzig.“
    „Dann gehören Sie nicht mehr zum betroffenen Personenkreis. Trotzdem noch die zweite Frage: Sind Sie in den letzten Jahren über einen längeren Zeitraum hinweg unglücklich gewesen?“
    „Nein“, sagte die Frau und runzelte die Stirn. „Das geht mir nun aber doch zu weit“, fügte sie ärgerlich hinzu. „Was berechtigt Sie, mir solche Fragen zu stellen?“
    „Oh, ich vergaß“, sagte Pauline sanft, „ich vergaß zu sagen, daß Sie selbstverständlich nicht zu antworten brauchen, wenn Sie nicht wollen. Auf Wiedersehen!“

    Psychologe, Physiologe, Mathematiker, Physiker, Ästhetiker – aus diesen Fachrichtungen setzte sich die Forschungsgruppe zusammen, die jetzt in Mohrs Haus arbeitete, um den Raumteiler und seine Effekte zu untersuchen. Und alle wohnten auch dort – zum Abtransport des Raumteilers wollten sie sich erst entschließen, wenn die wichtigsten Fragen geklärt waren, denn man befürchtete, daß das Kunstwerk in anderer Umgebung nicht so wirkte wie hier.
    Da also das Haus voll war und ein ungestörtes Gespräch eigentlich nirgends möglich, hatte Sibylle Wenzel zu einem Spaziergang eingeladen, um sich zu verabschieden – sie war als Schlichter nach Gagarin gerufen worden und mußte am selben Abend abreisen.
    Das Bedürfnis nach einem solchen Gespräch hatten beide; wahrscheinlich hätten sie auch ohne den Raumteiler bemerkt, daß zwischen ihnen eine etwas tiefere Beziehung entstanden war als sonst zwischen Leuten, die gelegentlich eine Weile miteinander arbeiten.
    Es regnete stark, aber das störte sie nicht. Sie gingen durch den Wald, in dem seit anderthalb Jahrhunderten die Bäume der verschiedensten Arten durcheinander wuchsen, manche schon im voll entfalteten Schmuck ihres Laubs, manche erst in hellem Grünschimmer aufbrechender Knospen, dazwischen immer wieder das dunkle Leuchten der Nadelhölzer. Sie gingen nebeneinander, sie sahen das gleiche, hörten das gleiche, gingen im gleichen Schritt, sie sprachen nicht miteinander und wußten doch einer vom andern, was er dachte.
    Sie hatten die körperliche Nähe bisher vermieden, nicht weil sie ohne Begehren waren, sondern weil sie hinter diesem Begehren etwas Tieferes sahen, die Möglichkeit und Gefahr einer großen, nur unter großem Schmerz trennbaren Liebe. Je länger sie nebeneinander gearbeitet hatten, um so deutlicher hatte jeder gefühlt, daß er in dem anderen eine fast ideale Ergänzung hatte, bis an die Grenze des Träumbaren; nur daß sie nicht miteinander leben konnten, ohne daß einer seinen Beruf aufgab, also den von den drei, der für ihn die Lebensaufgabe ausmachte; und dieser Verzicht, das hatten sie beide schon einmal erfahren, würde die Trennung erzwingen. Und einmal im Leben eine solche Trennung reichte aus, meinten sie.
    Es war ihnen, als könnte jeder die Gedanken des anderen hören, als sprächen sie wirklich miteinander, in Rede und Gegenrede; ja, sie hatten sich mit diesem Spaziergang die Gelegenheit geschaffen, das entscheidende Wort zu sprechen, aber sie waren losgegangen mit dem untrüglichen Gefühl, daß dieses Wort nicht gesprochen werden würde. Für Sibylle stand fest, daß sie ihre wissenschaftliche Arbeit, die sie an Gagarin im Raum und Sternenstadt auf der Erde band, nicht aufgeben konnte, ohne sich selbst aufzugeben. Während sie sich in dieser Hinsicht absolut sicher war, befand sich Wenzel im Zustand völliger Unsicherheit. Es war unvorhersehbar, wohin ihn diese Untersuchung führen würde; aber er war ziemlich sicher, daß sie sein weiteres Leben

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