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Kurs Minosmond

Kurs Minosmond

Titel: Kurs Minosmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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bestimmen würde. Vielleicht würde sie ihn umhertreiben auf allen Kontinenten.
    Eigentlich waren sie beide, gemessen an ihrem Zeitalter, unnormale Menschen. Für die überwiegende Mehrheit war das harmonische Gleichgewicht zwischen den drei Berufen und der Familie normal, mit einer leichten Überbetonung des Künstlerischen vielleicht; eine das ganze Leben bestimmende Aufgabe war selten, so selten, daß die meisten mit diesem Problem überhaupt nicht in Berührung kamen. Auch Wenzel hatte bisher so gelebt; in seiner Vorstellung hatte er sich am Ende dieses Jahrzehnts als Lehrer gesehen. Jetzt hatte er eine Wendung vollzogen – nein, er wußte nicht mit der sonst üblichen Sicherheit, was nun wirklich kommen würde, aber er brauchte nur zu summieren, was er in den vergangenen Wochen getan und nicht getan hatte: Seinen Dienst hatte er getan, und das ausschließlich; keine Zauberei, kein Handwerk hatten ihn beschäftigt. Und das würde gewiß wenigstens für das kommende Jahr im wesentlichen so bleiben; denn wenn er morgen nach Berlin ging, würde die eigentliche Arbeit erst beginnen. Konnte er denn jetzt sagen: Ich übergebe alles, gehe mit nach Gagarin, irgend etwas werde ich dort schon zu tun finden – konnte er das, ohne sich selbst als Persönlichkeit zu verlieren? Und durfte er ein entsprechendes Opfer von ihr annehmen, falls sie es hätte bringen wollen? Substanzverlust des einen Partners zerstörte immer auch den anderen. Man konnte sich das so erklären, aber man konnte auch einfach auf die Furcht lauschen, die sich auftat bei dem Gedanken, einander zu verlieren, und die deutlicher warnte als alle rationellen Ableitungen.
    Freilich, wenn sie etwas begonnen hätten miteinander, in diesen Wochen, dann wäre vielleicht eine Bindung entstanden, die sie nicht mehr hätten auflösen können, und die Konflikte hätten sie beherrscht statt umgekehrt.
    Blieb noch die Frage, ob sie sich nicht etwas vormachten, beide, wenn sie so dachten und fühlten und unentschlossen blieben. Denn das entscheidende Wort, zu dem jetzt Gelegenheit war, hätte ja auch ein Wort der endgültigen Trennung sein können, der Aufgabe, des Verzichts. Dazu aber war ihr Fühlen nicht bereit, und kein noch so schlüssiger Gedankengang hätte sie dazu gebracht. Etwas von diesem sehr zurückgehaltenen Erleben miteinander wollten sie sich bewahren, als Hoffnung, und sei es als vergebliche, die nach und nach erlischt…
    „Halt!“ Wenzel griff nach Sibylles Arm, aber auch sie war stehengeblieben, im Gebüsch hatte es geknackt, und dann wechselte zehn Meter vor ihnen Muffelwild über den Weg. Sie sahen den Tieren nach, bis sie im Wald verschwunden waren, der auf dieser Seite etwas lichter war.
    „Wo waren wir stehengeblieben?“ fragte Wenzel.
    „Bei der Hoffnung“, sagte Sibylle.
    Sie gingen weiter. Bald aber hatte Wenzel das Gefühl, daß ihre Gedanken und Gefühle nun nicht mehr gleich liefen; und es war ja auch alles gedacht, was hätte gesagt werden können.
    „Wollen wir umkehren?“ fragte er.
    „Was den Weg betrifft, ja, meinetwegen!“ sagte Sibylle.

    Ruben war dahintergekommen, daß dieses verdrießliche Gefühl, das ihn jedesmal in Gagarin packte, wenn wie jetzt die Experimente unterbrochen wurden, alles andere als Langeweile war. Es war etwas anderes gewesen, was ihn auf die Venus getrieben hatte oder nun wieder zum Versorgungsflug für die Marsstation. Wenn er mit den anderen gemeinsam experimentierte, am Blastron I, dann war dieses Gefühl so weit in den Hintergrund gedrängt, daß er es nicht mehr wahrnahm; sobald diese fesselnde Tätigkeit aber unterbrochen wurde, ergriff ihn die Unruhe von neuem.
    Erst auf dem Flug zum Mars wurde ihm klar, was ihn antrieb. Er hatte die Zukunft seiner großen Idee, der Besiedlung der Esther, der weiteren Entwicklung anvertraut, sowohl der objektiven als auch seiner eigenen, da aber Entwicklung sich in Form von Zufällen durchsetzt, mußte er sich nicht wundern, wenn seine Seele ständig nach geeigneten Zufällen suchte, überall, also auch während solcher Pausen wie jetzt. Weshalb flog er also zum Mars? Er wollte wissen, wie die Leute dort lebten, nachdem er schon einiges, wenn auch sicherlich längst nicht alles oder vielleicht nicht einmal das Wichtigste, über das Leben auf der Venus erfahren hatte.
    Der Flug selbst hatte freilich einen anderen Zweck: Turnusmäßig sollte die Station Mars Zwei mit neuem Personal und Material versorgt werden.
    Da die Landung auf dem Mars im Vergleich zu Erde

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