Kurs Sol-System
Ortungsinstrumenten aus. Graue Dunstfetzen verhüllten die Morgensonne zum Teil. »Es gibt Regen, Moses«, sagte Yaku. Doch dann erinnerte er sich, daß Regenwolken auch auf Aqualung dunkler und kompakter aussahen. Das, was da vor der Sonne Tarkus in der Atmosphäre Aqualungs schwebte, waren Rauchschwaden. Ein paar tausend Kilometer weiter südlich brannten noch immer die riesigen Waldgebiete von Lungur.
Yakubar Tellim legte seinen LK-Strahler über die Schenkel. Als gäbe es weder Krieg noch Kalosaren an Bord, widmete er sich dem großen Zweig mit den kleinen dunkelgrünen Blättern, den Moses auf seinem Schoß abgelegt hatte. Der Weißhaarige richtete sein echtes und sein künstliches Auge auf den Zweig, untersuchte Laub, Holz und Früchte und begann endlich die großen blauen Beeren von den Ästchen zu zupfen. Sie schmeckten etwas herb, aber akzeptabel. Neben seinem Sessel, am Boden, pickte Moses die gleichen Beeren vom Boden auf. Was dem Raben bekam, sollte eigentlich auch ihm nicht schaden.
Alle zehn, elf Stunden ließ Yaku den Raben aus einem Hangarschott in die Wälder um die RHEINGOLD fliegen. Der Vogel war Selbstversorger. Hin und wieder brachte er mehr mit, als er fressen konnte. Von einem solchen Glücksfall profitierte Yaku gerade.
Moses hatte es gut. Niemand außer ihm konnte durch die Wälder rund um den Omegaraumer streifen, ohne Gefahr zu laufen, sich einen Giftpfeil oder Schlimmeres einzuhandeln. Die Kalosaren lagen im Unterholz rund um das Schiff. Sechshundertachtzig Krieger. Drei Mal hatte Nigeryan seine schwarze Jane in den letzten zwölf Tagen starten und in vermeintlich kalosarenfreiem Gebiet wieder landen lassen. Umsonst. Spätestens sieben Stunden nach der Landung lauerten wieder ein paar hundert Kalosaren im Unterholz rund um das Schiff.
An Bord der RHEINGOLD ernährte man sich seit vier Tagen von den Notrationen aus den Beibooten. Jedenfalls dann, wenn man das Pech hatte, der Gattung Homo sapiens anzugehören oder wie Yakubar Tellim keinen Vogel zum Freund hatte, der alle zehn Stunden im Wald nach Beeren und Baumfrüchten suchte. Außer Yaku, dem alten Reeder von Doxa IV, gab es zur Stunde noch siebenundzwanzig Angehörige der Gattung Homo sapiens an Bord der RHEINGOLD.
Demgegenüber standen einundfünfzig Kalosaren, die sich bis jetzt noch an Bord hatten halten können. Zwei davon allerdings befanden sich als Geisel in einem Nebenraum der Wäscherei – Caryxzar, der sogenannte Erste Töter der Waldkalosaren an den blauen Wassern der Wälder von Lungur , und sein Schamane Eli'zarlunga. Auf den ersten Blick mochte das hoffnungsvoll klingen, aber das täuschte: Die anderen neunundvierzig hielten die Kombüse einschließlich der wichtigsten Kühlräume und Vorratskammern besetzt.
Neunundvierzig kampferprobte, intelligente, aber lediglich mit Blasrohren, Giftpfeilen, Äxten und Lanzen bewaffnete Barbaren gegen siebenundzwanzig Vertreter der Gattung Homo sapiens – von dem kristallblauen Robotdiener des Subgenerals gar nicht zu reden – die mit Gravitongewehren und LK-Strahlern bewaffnet waren und von knapp dreißig Kampfmaschinen unterstützt wurden? Auch das klang noch ziemlich hoffnungsvoll, falls man zu denen von der Partei Homo sapiens gehörte. Nur konnte diese den Barbaren weder die Luft abdrehen noch das Wasser vergiften und erst recht in keinem Sturmangriff eine Feuerhölle entfachen – denn auch die Kalosaren hatten Gefangene gemacht. Neun insgesamt. Unter ihnen Roderich Stein, Bergens Erster Kybernetiker, und Sibyrian Cludwich, der ehemalige Kommandant der TROJA.
Yaku war müde und hungrig. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten sie die Küchenabteilung längst gestürmt. Ab einem gewissen Punkt diktierte der Stoffwechsel die Entscheidungen – und nackte Zahlen. Oder anders ausgedrückt: Was wog das Leben von neun Geiseln gegenüber achtzehn Männern und Frauen, die noch um ihr Leben kämpfen konnten, zu diesem Zweck aber auf den Inhalt der Kühlräume und Vorratskammern angewiesen waren?
Ein böser Gedanke, gewiß; barbarisch und menschenverachtend. Aber Yaku dachte ihn trotzdem und schämte sich nicht einmal dafür. Dafür war er einfach zu hungrig, zu erschöpft und zu gefühllos. Tagelang hatte er gekämpft, getötet und den Tod anderer mitansehen müssen. Und irgendwann, vor drei oder vier Tagen, hatte er einfach aufgehört, etwas zu fühlen.
Die katzenartigen Barbaren hatten die Klinikabteilung überfallen und die meisten Verletzten niedergemacht. Entsprechend
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