Kurschatten: Ein Sylt-Krimi
Seite der Tür war nur noch eisige Stille. Vielleicht hätte man hören können, dass sich Schritte leise entfernten, aber da Wiebke wütend an der Klinke rüttelte, war nichts dergleichen zu vernehmen. Sie waren eingeschlossen. Was immer nun in Käptens Kajüte geschah, sie würden es nicht verhindern können.
»Wer kann das gewesen sein?«, fragte Mamma Carlotta leise, als Wiebke endlich aufhörte zu rufen.
Wiebke atmete tief durch. Sie schien mit einem Mal Schwierigkeiten mit der drangvollen Enge zu haben. »Einer, der in aller Seelenruhe die Kasse ausräumen will«, meinte sie.
Mamma Carlotta nickte. Ja, das war die einzige Erklärung! Ein Gast war erschienen, hatte ihre Stimmen gehört, hatte sie eingeschlossen, damit er sich in Ruhe bedienen konnte.
»Meine Tasche steht auf einem der Barhocker«, sagte Wiebke leise.
Doch in ihren Augen sah Mamma Carlotta, dass Wiebke keine Angst vor Diebstahl hatte, sondern etwas ganz anderes fürchtete.
T ove Griess schäumte vor Wut. Er lief in dem Zimmer, in das Enno Mierendorf ihn geführt hatte, hin und her, um den Tisch herum, der in der Mitte des Raums stand, dann zu dem kleinen Fenster, das oben, unter der Decke, angebracht war, und zurück zur Tür. Dabei fluchte und schimpfte er, schlug mit den Fäusten gegen die Wand und trat gegen die Tischbeine.
Als Erik und Sören eintraten, bezwang er sich, weil er begriffen hatte, dass sein Jähzorn alles nur noch schlimmer machen würde. »Ich habe sie nicht umgebracht«, sagte er, nachdem er sich an den Tisch gesetzt hatte.
Erik lächelte ihn an. »Wenn Sie unschuldig sind, warum sind Sie dann geflüchtet?«
»Reflex«, knurrte Tove. »Wenn mir ein Bulle was will, haue ich immer ab.«
Erik nahm ihm gegenüber Platz, Sören blieb in der Nähe der Tür stehen. Auf die Anwesenheit von Enno Mierendorf verzichteten die beiden. Tove Griess galt zwar als gewalttätig, aber er würde es nicht wagen, sie anzugreifen. In seinem Gesicht erkannte Erik, dass er versuchte, sich zu beherrschen, um sich nicht noch verdächtiger zu machen, als er ohnehin schon war.
Erik begann betont sachlich. »Sie wissen, dass Ihre Schuhabdrücke gefunden worden sind. Außerdem haben wir einen Zahnstocher sichergestellt. Ich bin davon überzeugt, dass Sie ihn schon mal im Mund hatten. Morgen werden wir es genau wissen.«
Tove Griess schien in der Zwischenzeit nicht nur seine Wut ausgelassen, sondern auch nachgedacht zu haben. »Ich bestreite ja gar nicht, dass ich vor ein paar Tagen bei Ludo Thöneßen war«, sagte er sanftmütig.
Erik sah ihn überrascht an. »Was wollten Sie bei ihm?«
Tove druckste herum. »Ich habe nicht direkt einen Besuch bei ihm gemacht. Ich habe mich nur … ein bisschen umgesehen. Von Ludos Garten hat man einen interessanten Blick in den Saunabereich.«
»Sie?« Erik starrte ihn überrascht an. »Sie sind nun auch als Spanner unterwegs? Das kann ja wohl nicht wahr sein!«
»Ich bin auch nur ein Mann«, entgegnete Tove Griess und sah dabei auf seine Hände. »Unsereins hat nicht oft Gelegenheit, mal eine Frau zu sehen, die … na, Sie wissen schon.«
Erik fragte sich, worauf Tove Griess hinauswollte. Dass er die Wahrheit sagte, erschien ihm unwahrscheinlich. Er traute dem Wirt einiges zu, sogar einen Mord, aber als Spanner war er noch nie aufgefallen. Das war etwas, was Fietje Tiensch zuzutrauen war. »Sie wollen mir also weismachen, Sie hätten Ihre Schuhabdrücke hinterlassen, als Sie sich nackte Frauen in der Sauna ansehen wollten? Da, wo wir den Abdruck Ihres Schuhs gefunden haben, hat man aber gar keinen Einblick in die Sauna.«
Tove bewegte die Hände auf der Tischplatte hin und her. Erik war sicher, dass er seine Verlegenheit nur spielte. »Das war noch vor Ludos Tod. Da habe ich gesehen, dass er Besuch bekommen hat. Von Corinna Matteuer. Und das fand ich noch interessanter.«
»Wann soll das gewesen sein?«
»Ist schon ein paar Tage her. Die Zwillingsschwester lebte noch.«
»Da hat Corinna Matteuer einen Besuch bei Ludo Thöneßen gemacht?«
»Exakt! Das war der Tag, an dem Ina Müller am Flughafen ein Konzert gab. Das wurde im Regionalfernsehen übertragen. Bei Ludo lief die Glotze, als die Matteuer erschien.«
Erik sah Sören an. »Können Sie mal eben nachgucken, wann Ina Müller ihr Konzert hatte?«
»Brauche ich nicht, Chef. Das habe ich im Kopf. Ich wollte auch hin, habe aber keine Karte mehr bekommen.«
Sören schrieb ein Datum auf und schob Erik den Zettel hin. Der warf nur einen kurzen Blick
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