Kurschatten: Ein Sylt-Krimi
durfte wissen, dass ihre Schwester Ludo Thöneßen umgebracht hat! Damit Matteuer-Immobilien nicht geschädigt wird!«
Erik rieb sich über die Stirn, als wollte er dahinter alle irreführenden Gedanken mitsamt seinen Kopfschmerzen vertreiben. Dann griff er zum Telefonhörer. »Ich rufe Corinna trotzdem an. Mal hören, was sie sagt. Und Sie könnten mal Jacqueline fragen, ob die Sauna in den letzten Tagen benutzt wurde. Im Squashcenter ist ja nichts los. Wenn die Damensauna gar nicht angestellt wurde, kann Tove Griess sich auch keine nackten Frauen angeguckt haben.«
E s blieb still, mucksmäuschenstill. Von draußen drangen Stimmen und Motorgeräusche herein, der Wind rüttelte am Dach, Möwen schrien, aber innerhalb der vier Wände von Käptens Kajüte war es stiller denn je. Die leisen Schritte waren verklungen, nichts rührte sich mehr.
Wiebke hatte aufgehört, panisch zu rufen, nachdem Mamma Carlotta ihr erklärt hatte, dass sie nur auf den nächsten Gast zu warten brauchten. Toves Geschäft ging zwar schlecht, aber innerhalb der nächsten Stunde würde schon jemand eintreten, den sie dann auf sich aufmerksam machen konnten. Sie brauchten keine Angst zu haben.
Mamma Carlotta hockte sich auf einen umgestülpten Wischeimer, Wiebke ließ sich auf einem Kanister mit Olivenöl nieder. »Wir sollten uns unterhalten«, schlug Mamma Carlotta vor, »damit die Zeit schneller vergeht. Erzählen Sie mir von sich! Woher kommen Sie? Wo sind Sie geboren? Wo leben Ihre Eltern? Haben Sie Geschwister?«
Aber Wiebke blieb still. Immer wieder sah sie zur Decke, wo eine nackte Glühbirne hing, die ihnen Licht gab. Mamma Carlotta kam es so vor, als fürchtete Wiebke, dass sie ausgehen könnte. »Macht es Ihnen Angst, eingeschlossen zu sein?«, fragte sie leise.
Wiebke nickte. »Früher war’s noch schlimmer. Ich habe Fortschritte gemacht. Als die Tür ins Schloss gefallen ist, war das okay für mich. Zumindest, solange ich direkt neben der Tür stand. Aber das Gefühl, hier gefangen zu sein …« Tränen stiegen ihr in die Augen. »Ich halte das nicht lange aus. Außerdem will ich wissen, wer uns so was antut!«
Mamma Carlotta wusste nicht, ob ihre Antwort beruhigend auf Wiebke wirkte, aber sie versuchte es trotzdem: »Da war vermutlich jemand auf Ihre Handtasche aus. Hoffentlich hatten Sie nicht sehr viel Geld bei sich.«
»Sie meinen, das war ein ganz gewöhnlicher Dieb?«
»Wer sonst?« Nun beschloss Mamma Carlotta, das Erzählen zu übernehmen. Sie berichtete von der Frau des Kfz-Meisters, deren Ehe darunter litt, dass ihr Mann nur bei völliger Finsternis schlafen konnte, während sie selbst kein Auge zubekam, wenn nirgendwo ein Licht zu sehen war. »Aber getrennte Schlafzimmer kommen natürlich nicht infrage, das sieht ja aus, als stünde es schlecht um ihre Ehe. So was will sich keiner nachsagen lassen.«
Wiebke nickte, während sie an Mamma Carlotta vorbei auf das Regalbrett starrte, auf dem mehrere Flaschen Zigeunersoße standen. Sie hörte also nicht zu. Jeder normale Mensch, so sagte sich Mamma Carlotta, hätte zu dieser Geschichte etwas zu sagen gehabt. Aber Wiebke schwieg und tat so, als hätte sie für die Eheschwierigkeiten des Kfz-Meisters Verständnis. Daraufhin erzählte Mamma Carlotta von einer ehemaligen Klassenkameradin, die einen Schausteller geheiratet hatte und deren Schicksal es nun war, in einer Geisterbahn die Leute zum Gruseln zu bringen. »Sie arbeitet praktisch in der Finsternis! Wenn ein Wagen vorbeikommt, flammt Licht auf, sie muss Hui-Hui schreien, dann sitzt sie wieder in der Finsternis, bis der nächste Wagen kommt. Ist das nicht ein schreckliches Schicksal?«
Wieder nickte Wiebke, aber auch diesmal war Mamma Carlotta sicher, dass sie von dem fremden Los nicht berührt worden war. Sie war mit ihren Gedanken ganz woanders. Nicht einmal das Geschick der jungen Nonne, die sich in einen Weinbauern verliebt hatte und mit ihm durchbrannte, berührte sie, von der glücklosen Ehe des Milchhändlers, die schon während der Flitterwochen zerbrach, ganz zu schweigen. Mamma Carlotta konnte machen, was sie wollte, Wiebke schien nicht für eine Sekunde vergessen zu können, dass sie eingeschlossen waren.
»Wann kommt endlich jemand?«, fragte sie verzweifelt, statt mit Mamma Carlotta zu erörtern, was in den Flitterwochen des Milchhändlers wohl passiert sein könnte.
Eine halbe Stunde später wurde auch Mamma Carlotta unruhig. Der Eimer, auf dem sie saß, war denkbar unbequem, der Geruch in diesem
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