Kurschatten: Ein Sylt-Krimi
Ahnung, wer von den beiden lebensmüde war? Sie als Reporterin wissen doch mehr als andere.«
Wiebke schüttelte den Kopf. »Ich weiß nur das, was allgemein bekannt ist.«
»Und was ist das?« Mamma Carlotta legte den Holzlöffel zur Seite und ging das Risiko ein, dass die Suppe zu kochen begann, damit sie sich uneingeschränkt auf die Neuigkeiten konzentrieren konnte.
»Die Zwillingsschwestern haben von ihrem Vater eine Bauunternehmung geerbt und weitergeführt. Dann lernte Corinna Pütz Klaus Matteuer kennen, einen Architekten. Der wollte die Geschäfte ohne seine Schwägerin machen und hat dafür gesorgt, dass die Bauunternehmung Pütz geteilt wurde. Aus Corinnas Hälfte wurde Matteuer-Immobilien, Matilda Pütz machte weiter mit Pütz-Bau.«
Wiebke wies aufgeregt zu dem Suppentopf, aus dem der Dampf aufstieg, und Mamma Carlotta begann wieder zu rühren.
»Nach der Wende stieg Klaus Matteuer ins Immobiliengeschäft ein. Mit wertlosen Ostimmobilien hat er viele über den Tisch gezogen. Aber er hat jeden Prozess gewonnen, und Matteuer-Immobilien ist gut im Geschäft geblieben. Corinna Matteuer ist als Investorin aufgetreten, Schwierigkeiten, die sich ihr in den Weg stellten, hat sie beseitigt.« Wiebke rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. »Und Klaus Matteuer hat die Bauprojekte durchgezogen. Hier auf Sylt hatte es die Firma am leichtesten. Nicht die Sylter Bevölkerung und die gewählten Volksvertreter haben darüber bestimmt, wie Sylt vermarktet wird, sondern Investoren wie Corinna Matteuer. Sie hat es immer geschafft, dass es in den Gemeindevertretungen eine Mehrheit für ihre Interessen gab.«
Dazu konnte Mamma Carlotta etwas sagen. »Ludo Thöneßen gehört zu den wenigen, die keine Schmiergelder angenommen haben. Er hat sogar publik gemacht, dass ihm Geld angeboten wurde.«
»Aber natürlich konnte er es nicht beweisen«, ergänzte Wiebke.
Mamma Carlotta nickte, dann fiel ihr ein, dass sie die menschliche Seite des Bauskandals weit mehr interessierte. »Und die Schwester? Warum habe ich die im Baubüro gesehen, wenn sie eine eigene Firma hat?«
»Nicht mehr. Matilda Pütz wollte natürlich genauso erfolgreich sein wie ihre Schwester und ihr Schwager. Sie hat es mit riskanten Bauprojekten auf Föhr und Norderney versucht … aber beides ist gründlich in die Hose gegangen. Sie musste Konkurs anmelden.«
»Madonna!« Mamma Carlotta füllte die Ginestrata in eine Suppentasse und stellte sie vor Wiebke hin. Die Panini, die vom Abendessen übrig geblieben waren, warf sie in einen Korb und schob ihn neben die Suppentasse. »Und dann war sie derart verzweifelt, dass sie sich nun das Leben genommen hat?«
Wiebke nahm einen Löffel Suppe und schloss genießerisch die Augen. »Wunderbar, Signora!« Dann erst antwortete sie: »Das glaube ich nicht. Das ist ja alles schon Jahre her. Außerdem hat sie Hilfe von ihrer Zwillingsschwester bekommen. Matilda Pütz arbeitet seitdem bei Matteuer-Immobilien, und man sagt, sie hält sich öfter in Flensburg, in der Villa ihrer Schwester, auf als in ihrer eigenen Wohnung in Glücksburg. Es geht ihr eigentlich genauso gut wie früher. Nur, dass ihre Schwester jetzt alles bezahlt. Aber Zwillinge …«
»… sind praktisch eins«, ergänzte Mamma Carlotta. »Und was sagt der Ehemann dazu?« Noch bevor Wiebke antworten konnte, erzählte Mamma Carlotta ihr von einer Schulfreundin, die ebenfalls eine Zwillingsschwester gehabt hatte und die nach der Heirat ganz selbstverständlich zu dem jungen Ehepaar gezogen war, weil sie ohne ihren Zwilling nur eine halbe Person war. »Der Mann hat das nicht lange mitgemacht. Schon nach einem Jahr hat er sich von seiner Frau getrennt. Er sagt, er hätte nie mit seiner Frau allein sein können, die Zwillingsschwester war immer dabei!«
Wiebke aß erst genüsslich den Teller leer, ehe sie erklärte: »Klaus Matteuer hatte einen schweren Schlaganfall, hier auf Sylt! Am Ellenbogen! Er war allein am Strand, man hat ihn erst Stunden später gefunden. Da war nichts mehr zu machen. Er vegetiert dahin, kann nicht mehr sprechen, sich nicht mehr bewegen, wird künstlich ernährt …«
»Madonna!« Mamma Carlotta entsetzte sich ausführlich über dieses schreckliche Schicksal, erinnerte sich auch gleich an ein ähnliches in ihrer Heimat und berichtete von Agostino Marciano, den während der Weinlese der Schlag getroffen hatte, der aber zum Glück rechtzeitig zwischen den Rebstöcken gefunden worden war.
Zu ihrem Leidwesen kam sie nicht mehr dazu,
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