Kurschatten: Ein Sylt-Krimi
Agostinos schwierigen Abtransport zu schildern, und musste auf den dramatischen Höhepunkt verzichten, als Agostino von der provisorischen Trage gefallen und den Hang heruntergerollt war. Dem Krankenwagen, der mittlerweile alarmiert worden war, vors rechte Vorderrad. Nur, dass alles gut gegangen und Agostino in diesem Jahr wieder in seinen Weinberg gestiegen war, konnte sie noch anfügen, dann öffnete sich die Tür, und Erik kam herein. An seiner Seite Corinna Matteuer …
E rik stand mit dem Rücken an der Wand. Er wurde mit Vorwürfen überhäuft, mit Fragen bedrängt und mit Forderungen in die Enge getrieben. Was er auch erwiderte, womit er sich auch verteidigte, er erntete keinerlei Verständnis. Hätte er doch nur Sören angerufen und mit dem Angebot, die Reste des Abendessens zu verzehren, ins Haus gelockt! Dann hätte er sich jetzt nicht so allein gefühlt. Aber er hatte Sören dummerweise am Telefon gesagt, dass er sich den Fernsehkrimi ruhig zu Ende ansehen könne. Ein Selbstmord, der keine Ermittlungen nach sich ziehen würde! Dass es sich um die Schwester der unbeliebten Investorin Corinna Matteuer handelte, war unbedeutend. Und dass sie eine Mörderin war, änderte auch nichts. Sören würde am nächsten Morgen zum Frühstücken erscheinen, und dann wollten sie gemeinsam überlegen, was zu tun war, um Ludo Thöneßens Leiche zu finden.
Felix regte sich schrecklich auf. »Wie kannst du diese Tussi ins Haus bringen, Papa? Wenn das jemand von der Bürgerinitiative mitkriegt!«
Und Carolin ergänzte: »Von denen hätte ihr keiner Asyl gewährt. Du machst uns unmöglich!« Sie war drauf und dran, in beleidigtes Schweigen zu verfallen, wie sie es tat, wenn ihr Vater ihr eine Taschengelderhöhung verweigerte oder darauf bestand, dass sie zu einer Zeit nach Hause kam, in der eine Party angeblich erst richtig anfing. Dann aber fiel ihr ihre politische Karriere ein, und sie setzte eine Miene auf, die bei ihren zukünftigen Wählern Vertrauen erzeugen sollte. »Wir haben eine Verantwortung im Umgang mit den Ressourcen unserer Insel. Aber was passiert? Der Landschaftsverbrauch ist nicht geregelt, und niemand macht sich Gedanken darüber, welche Großprojekte Sylt überhaupt noch verträgt.« Ihre Stimme war so klar und fest, dass sie von ihrer Großmutter mit offenem Mund angestaunt wurde. »Deshalb gelingt es Investoren wie Corinna Matteuer immer wieder, unsere Kommunalpolitiker davon zu überzeugen, dass sie Großprojekte planen und umsetzen müssen, weil sie angeblich ertragssicher sind.« Nun erhob sie sogar ihre Stimme, denn ihr Politiklehrer, der ebenfalls Mitglied von »Verraten und verkauft« war, hatte ihr den Tipp gegeben, den letzten Satz, der ihre Zuhörer aufrütteln sollte, besonders laut und vernehmlich hervorzubringen. »Ertragssicher sind diese Projekte jedoch nur für die Investoren!«
Felix, der weiterhin Formel-1-Pilot und auf keinen Fall Politiker werden wollte, dachte nicht an Diplomatie und Überzeugungskraft. Er schimpfte einfach drauflos: »Wie sollen wir das den anderen erklären? Diese Ausbeuterin pennt ausgerechnet bei uns!«
Erik legte den Zeigefinger auf die Lippen. »Pscht! Wenn sie etwas hört! Sie hat einen schweren Schicksalsschlag erlitten. Ich möchte, dass sie sich hier willkommen fühlt.«
»Das Gästezimmer ist weit weg«, meinte Carolin. »Da oben kriegt die nichts mit.«
»Und wenn schon!«, fügte Felix an. »Das Schlafmittel, das ihr die Nonna verpasst hat, würde nicht mal einen Toten aufwecken.«
Natürlich schlug seine Schwiegermutter sich auf die Seite ihrer Enkel. »Du musst dafür sorgen, Enrico, dass sie nach dem Frühstück wieder geht. Es wird sich doch irgendein Verwandter finden, der nach Sylt kommen und sich um sie kümmern kann.«
Nur Wiebke Reimers hielt sich raus. Und Erik fragte sich, warum sie immer noch in seiner Küche saß. Weil Mamma Carlotta nach den Antipasti und der Suppe noch Vanilleeis aus der Tiefkühltruhe geholt und in Windeseile eine Schokoladensoße gekocht hatte? Oder weil sie etwas zu hören bekommen wollte, was außer der Mattino sonst niemand im Blatt haben würde?
»Sie sind hier als Privatmensch«, mahnte Erik, obwohl er Ähnliches schon ein paarmal geäußert hatte. »Wenn ich irgendwas von dem, was hier geredet wird, in der Mattino lese …«
Wiebke ließ ihn nicht aussprechen. »Ich habe es Ihnen doch schon dreimal versprochen. Ich bin hier, weil mich Ihre Schwiegermutter eingeladen hat. Mit meinem Job hat das nichts zu
Weitere Kostenlose Bücher