Kurschatten: Ein Sylt-Krimi
gelaufen, das eigentlich in Corinna Matteuers Rücken stecken sollte. »Und da gehört es auch hin!«
»Felice!« Mamma Carlotta war entsetzt über die Grobschlächtigkeit ihres Enkels, und auch Erik verbot seinem Sohn, sich derart respektlos zu äußern.
Die Einzige, die zu allem schwieg, war Wiebke Reimers. Und es gab einen winzigen Moment, in dem Mamma Carlotta sich fragte, ob sie deswegen nichts sagte, weil sie ihre Anwesenheit vergessen machen wollte. Aber dann stellte Felix die Vermutung in den Raum, dass Corinna Matteuer ihren Mitarbeiter höchstselbst ins Jenseits befördert haben könnte, weil er mehr Geld wollte und mit Kündigung oder dem Ausplaudern von geschäftsschädigenden Geheimnissen gedroht hatte. Darüber entstand eine so wüste Debatte, dass Mamma Carlotta die Reporterin der Mattino tatsächlich vorübergehend vergaß.
E rik fühlte sich schlecht. Sehr, sehr schlecht. Er hatte einen Fehler gemacht, hatte sich von seiner Gutmütigkeit statt von seiner Vernunft leiten lassen, hatte sich ungerechte Vorwürfe gefallen lassen müssen, war eigentlich unschuldig, aber durch seine Naivität doch schuldig geworden. Noch nie waren die Augen seiner Schwiegermutter derart vorwurfsvoll auf ihn gerichtet gewesen.
Dass Corinna zu später Stunde noch anrief, hatte ihm genauso wenig gefallen wie Mamma Carlotta. Aber einer weinenden Frau einen Wunsch abschlagen? Erik hatte es nicht fertiggebracht. Vielleicht wäre alles gut gegangen, wenn er seiner Schwiegermutter nicht fest versprochen hätte, bald wieder zu Hause zu sein. Dass er es wirklich vorgehabt hatte und nur aufgrund unglücklicher Umstände erst nach Sonnenaufgang in den Süder Wung zurückgekehrt war, hatte er trotz eifriger Bemühungen nicht glaubhaft machen können. Mamma Carlottas Gesicht war eingefroren und immer kälter geworden, je aufgeregter er sich verteidigte.
Am liebsten hätte er ihr verraten, dass er Wiebke Reimers geküsst hatte, damit sie von ihrer Überzeugung abrückte, er habe die Nacht in Corinnas Bett verbracht. Aber was, wenn er sie damit auf die Idee brachte, Wiebke vor einer unerfüllten Liebe zu warnen? Er kannte doch ihre Überzeugung, als Expertin in Sachen Amore sowohl Unglück als auch ein Happy End sicher vorauszusehen.
Während er das Polizeirevier verließ und den Kirchenweg überquerte, dehnte er den Rücken und verzog schmerzhaft das Gesicht. Als wären seine Kreuzschmerzen nicht Strafe genug!
Er war gerade auf dem neu angelegten Parkplatz des Bahnhofsgeländes angekommen, da ging sein Handy. Die Staatsanwältin! Höchststrafe am frühen Morgen!
»Moin, Wolf! Schon irgendwelche Erkenntnisse im Fall Dennis Happe?«
»Nicht die geringsten«, gab Erik mürrisch zurück, ohne den Gruß der Staatsanwältin zu erwidern. »Die Spurenlage ist unübersichtlich. Im Baubüro haben hauptsächlich die beiden Schwestern und Dennis Happe gearbeitet, deren Fingerabdrücke werden soeben separiert. Unzählige andere Abdrücke sind nicht zuzuordnen, stammen womöglich von Besuchern oder Handwerkern. An dem eingeschlagenen Fenster hat die KTU allerdings frische Fingerspuren entdeckt, die interessant sein könnten. Und Vetterich hat auch den Stein gefunden, mit dem die Fensterscheibe eingeschlagen wurde, daran hafteten ganz feine Glassplitter. Der Stein hat eine glatte Oberfläche, es gibt Fingerabdrücke. Aber der Vergleich hat bis jetzt zu keinem Ergebnis geführt. Vetterich ist jedoch noch nicht fertig. Da kann heute noch was kommen.«
»Und das Motiv?« Frau Dr. Speck machte sich selten die Mühe, eine Frage in einen ganzen Satz zu kleiden. Zeit war Geld! Sie liebte es, wenn alles zack-zack ging. Deswegen war sie mit dem Kommissariat Westerland auch selten zufrieden, denn da ging es ihrer Meinung nach viel zu behäbig zu. Ein Hauptkommissar, der sich, ehe er einen Gedanken äußerte, erst umständlich den Schnauzer glattstrich, kam ihr oft sogar ungeeignet vor, einen Fall zu lösen.
»Ein Motiv ist nicht zu erkennen«, gab Erik zurück. »Anscheinend ist jemand eingedrungen, um den Schreibtisch von Matilda Pütz zu durchsuchen. Dabei hat ihn Dennis Happe erwischt, so könnte es gewesen sein.«
»Ist es zu einem Handgemenge gekommen?«
»Komischerweise nicht. Kampfspuren gibt es keine, nur ein paar Abwehrspuren an den Handflächen des Opfers. Sieht so aus, als wäre Happe von dem Mordanschlag überrascht worden.«
»Und der Inhalt des Schreibtisches?«
»Unauffällig!« Eriks Laune hob sich geringfügig, weil es ihm gelang,
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