Kurschatten: Ein Sylt-Krimi
Die Augen auf das Titelblatt gerichtet, stolperte sie in Käptens Kajüte, murmelte »Buon giorno!« und blickte erst auf, als eine Stimme rief: »Na? Gefällt Ihnen das Foto?« Menno Koopmann rieb sich lachend die Hände, wurde aber gleich darauf ernst. Noch ehe Mamma Carlotta seine Frage beantwortet hatte, erkannte er Wiebke, und der Zorn sprühte nur so aus seinen Augen. »So ist das also! Die Reporterin der Mattino ist eine Freundin des Hauses Wolf! Deshalb bekommt sie immer alle Tipps als Erste!«
Während Mamma Carlotta den Chefredakteur des Inselblattes noch immer fassungslos anstarrte, blieb Wiebke gelassen. »Ein guter Journalist wartet nicht auf Tipps, Herr Kollege, sondern sucht sich seine Infos selber!«
Koopmann knallte seine Kaffeetasse auf die Theke, holte einen Fünf-Euro-Schein aus der Jackentasche und warf ihn daneben. »Wenn ich in der Mattino was lese, was mir vorenthalten wurde, dann kann Ihr Schwiegersohn sich auf was gefasst machen, Signora!«
Wütend stapfte der Chefredakteur zum Ausgang, während Tove das Wechselgeld aus der Kasse zählte. Als die Tür ins Schloss fiel, fuhr er Mamma Carlotta an: »Warum gucken Sie auch auf die Zeitung, wenn Sie hier reinkommen? Ich hätte Ihnen sonst einen Wink geben können, damit Sie draußen bleiben.« Er ließ das Wechselgeld in die Kasse zurückfallen. »Meine Schuld ist es nicht, wenn Ihr Schwiegersohn erfährt, dass Sie hier eingekehrt sind!«
Wiebke Reimers sah erstaunt in Mamma Carlottas Gesicht, dann verstand sie. »Ach ja, Käptens Kajüte ist verboten!« Sie lachte. »Ich habe in einer Stunde garantiert vergessen, dass wir jemals hier waren. Wenn dieser Chefredakteur etwas in der Art verlauten lässt, werde ich behaupten, wir hätten uns zufällig vor der Tür von Käptens Kajüte getroffen. Aber reingegangen sind wir auf keinen Fall! Das wäre eine von den Übertreibungen des Chefredakteurs.«
Sie lachte wieder, und Mamma Carlotta stimmte erleichtert in ihr Lachen ein, obwohl es ihr im nächsten Augenblick im Halse stecken blieb. Schon wieder eine Kumpanei! Wiebke wusste, dass sie bei Matteuer-Immobilien vorstellig geworden war, um für Niccolò ein gutes Wort einzulegen, und sie wusste auch, dass sie häufig in Käptens Kajüte zu Gast war, obwohl Erik das nicht gerne sah. Und Corinna? Die wusste ebenfalls von Carlottas Bemühungen für Niccolò. Wenn das so weiterging, würde sie selbst demnächst die Wahrheit nicht mehr von den Ausflüchten unterscheiden können!
»Wir Frauen müssen zusammenhalten«, sagte Wiebke Reimers und bestellte einen Espresso.
Mamma Carlotta, die wusste, dass Toves Espresso in Italien mit Gefängnis bestraft würde, entschied sich für einen Cappuccino, der in Käptens Kajüte schon schlecht genug, aber immerhin genießbar war. Das Inselblatt mit dem eigenen Konterfei auf dem Titel legte sie neben sich und warf von Zeit zu Zeit einen Blick darauf. Wie würde Erik darauf reagieren? Würde er ihr Vorwürfe machen, weil sie, wie Menno Koopmann in seinem Artikel behauptete, einen italienischen Schlachtruf durchgesetzt hatte? Was konnte sie dafür, dass die Friesen so bedächtig und ängstlich skandierten, dass eine Italienerin gar nicht anders konnte, als ihr südländisches Temperament beizusteuern!
»Wie geht’s Ihrem Schwiegersohn?«, fragte Wiebke, als redete sie übers Wetter.
Am liebsten hätte Mamma Carlotta ihr von den Sorgen um Erik erzählt, dass er in der Nacht nicht nach Hause gekommen war, dass sie fürchtete, er habe sich in die falsche Frau verliebt … aber sie zog es vor zu schweigen. Gerade Wiebke Reimers sollte nichts davon erfahren, dass Erik drauf und dran war, auf Corinnas Avancen reinzufallen. Am Ende würde sie dann schlagartig das Interesse an ihm verlieren! Und das war nicht in Mamma Carlottas Sinne. Was ihren Schwiegersohn von Corinna Matteuer weglocken konnte, war eine andere Frau, die besser zu ihm passte. Also war es schlau, Erik im allerbesten Licht erscheinen zu lassen, damit er für Wiebke attraktiv blieb.
»Er ist zum Bahnhof gefahren«, antwortete sie, ohne zu erwähnen, dass sein Frühstücksteller unbenutzt geblieben war. »Die Frau von Ludo Thöneßen … also die Frau, die nicht mehr bei ihm lebte, aber immer noch seine Ehefrau ist …«
»Sila Simoni?«
»Esatto! Die kommt heute nach Sylt. Und Erik holt sie vom Bahnhof ab.«
Die Veränderung in Wiebkes Gesicht erschreckte sie. Die Reporterin stürzte den Espresso hinunter, warf einen Fünf-Euro-Schein auf die Theke,
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